Raoul Schrotts
Erste Erde Epos wurde kürzlich mit drei weiteren Episoden fortgesetzt:
Raoul Schrott: Erste Erde Epos - Lebende Steine - 21.03.2015 AUDIO (MP3)Mit Tobias Lelle, Bibiana Beglau, Jens Harzer, Dagmar Manzel, Katja Bürkle, Kathi Angerer / Regie: Michael Farin / BR 2015 / Länge: 42'42
Den im Augenblick plausibelsten Theorien zum Ursprung des Lebens zufolge bildete es sich am Meeresgrund in sogenannten Weißen Rauchern: Heißwasserkaminen, in denen das aufsteigende Süßwasser mit dem kalten Meereswasser reagiert und feinporige Schlote bildet. Die in diesen Poren ausgefällten Mineralien dienen als Katalysatoren für die Verkettungen von organischen Molekülen, die darin irgendwann beginnen, sich selbst zu reproduzieren, von den Poren geschützt wie von einer Zellhülle, um sich daraus loszulösen und als erste Mikroben freizuschwimmen. Finden sich diese Heißwasserkamine sonst in tausenden von Metern Meerestiefe: außer in einer Bucht im Norden Islands, wo sie bis knapp unter die Oberfläche reichen. Karen Lender taucht mit einem Berufstaucher zu ihnen hinunter, um über diesen Ursprung des Lebens auch das Krebsgeschwür in ihrer Brust zu fassen, Leben als Stoffwechsel zwischen Organischem und Anorganischem zu begreifen. Während Einar Sigurrson vom Phosphor erzählt, dessen Reaktionsfreudigkeit elementaren Anteil an den sogenannten Krebszyklen hat, die das Leben antreiben und erhalten: Sigurrson schildert seine Entdeckung durch den deutschen Alchemisten Brandt, wie er selbst im Studium aus Harn Phosphor zu gewinnen suchte, und vom Phosphoreszieren, dessen Nachtleuchten all die unsichtbaren Stoffwechsel in uns veranschaulicht.
Raoul Schrott: Erste Erde Epos - Steinernes Meer - 14.03.2015 AUDIO (MP3)Mit Tobias Lelle, Bibiana Beglau, Jens Harzer, Dagmar Manzel, Katja Bürkle, Kathi Angerer / Regie: Michael Farin / BR 2015 / Länge: 49?41
Die Entstehung der Erde ist der Urknall unserer Welt - die sich bald in Vulkanen, Lavaströmen und ersten Grabenbrüchen im Meer auszubilden beginnt. Das erst vor 20 Millionen Jahren über den atlantischen Rücken gehobene Island ist ein Modell dieser Landgewinnungsprozesse. Ausgedeutet werden sie von dem Vulkanologen Einar Sigursson, der in Stykkisholmur ein Museum aufgebaut hat, in dem auch all die Lebensformen ausgestellt werden, die das Mineralische in ihrem Namen tragen: von der Bernsteinmakrele über den Kaisergranat oder den Kupferstecher bis zu den Schwefelbläschen. Dabei wird augenfällig, dass alles Organische aus dem Anorganischen entstand – das aber das Leben seinerseits diesen mineralischen Urgrund wieder veränderte. Ohne Leben bestünde das Gestein der Erde aus etwa 1.500 Arten von Mineralien: durch seinen Einfluss verdreifacht sich diese Zahl – hin zu Halbedelsteinen, die sich nur in Reaktion auf Stoffwechselprodukte des Lebens bilden, oder sogenannten Bildsteinen, die gemalten Landschaften täuschend ähnlich scheinen. Und auch das Leben bildet Steinernes in sich: es scheidet es aus als Narrengold; Bakterien bilden Magnetit; das Zinnkraut lagert Silica ein. Erzählt wird all dies von Karen Lender, einer holländischen Biochemikerin, die gerade erfahren hat, dass sie Brustkrebs hat, vor ihrer Chemotherapie Island bereist, um irgendwie mit ihre Krankheit fertigzuwerden, und dabei Einar Sigursson begegnet.
Raoul Schrott: Erste Erde Epos - Autopoiesis - 07.03.2015 AUDIO (MP3)Mit Tobias Lelle, Bibiana Beglau, Jenz Harzer, Dagmar Manzel, Raoul Schrott / Regie: Michael Farin / BR 2015 / Länge: 43'14
Der Musenbrunnen der Hippokrene auf dem griechischen Berg Helikon gilt seit jeher als inspirativer Quell der Poesie. Ob beim allerersten europäischen Dichter Hesiod, bei den Römern Vergil und Ovid oder in der Renaissance: wer dichten wollte, musste vom Wasser dieses Brunnens trinken. Dichtungstradition umfasst jedoch nicht nur im herkömmlichen Sinne Lyrisches – auch Lukrez, dessen naturwissenschaftliches Lehrgedicht De rerum natura dem Erste Erde Epos Pate steht, berief sich auf den Gang zu dieser Quelle. Ihm folgend, stellt Autopoiesis eine autopoetische Selbstvergewisserung dar. Das Wasser des Musenquells wird dabei aus seinem alten symbolischen Kontext gehoben und zu jener Substanz, in der die allerersten Lebensformen hervorgingen. Die ursprünglich aus dem Nahen Osten stammenden Musen werden dabei zu Figurationen dessen, wie Leben aus Stein, Erde und Wasser entstehen konnte. Und die unterschiedlich möglichen, nie ganz aufgehenden Definitionen von Leben lassen sich so mit dem abgleichen, was die Form eines Gedichts auch ist – eine Zelle von Worten, die das Außen in ein Innen verwandelt und ihren eigenen Stoffwechsel entwickelt; Dichtung, die Welt verarbeitet und uns dabei in ihr lebendig hält. Der biologische Begriff des Lebens als Autopoiesis entspricht darin dem der Auto-poetik: bei der naturwissenschaftliches Denken und poetisches Sprechen sich in eins bringen lassen.