Salü zäme
Spannend, was da alles zusammengekommen ist!
Hier noch ein kleiner Berner Beitrag betreffend Friedrich Dürrenmatt: Dieser Autor kam offenbar schon sehr früh mit Meteoritischem in Kontakt (Schulaufsatz mit 13-14 Jahren, ca. 1935), dann als angeheiterter Student 1943 im Fragment „Die Brücke“. In seinem Stück „Der Meteor“ tritt der Begriff allerdings nur im Titel auf.
Interessant ist auch, dass die Handlung des Kriminalromans „Der Richter und sein Henker“ (1950-51) im Fundgebiet des damals noch unbekannten Twannberg-Meteoriten spielt. So lässt Dürrenmatt seine zwei Fahnder in unmittelbarer Nähe einer der Hauptfundstellen im Twannbach dem Mörder auflauern: „Sie schwiegen wieder und warteten; da leuchtete der Wald von Twann her auf. Ein Scheinwerfer tauchte sie in ein grelles Licht. Eine Limousine fuhr an ihnen Richtung Lamboing vorbei und verschwand in der Nacht.“
Aufsatz um 1935 (Archiv Centre Dürrenmatt, Neuchâtel):
Ein Naturereignis.
(Ein Meteor)
Es war in Adelboden. Wir machten eine Tour auf den Wildstrubel. 1 Uhr nachts ging es in Adelboden fort.
Zuerst eine Fahrt mit dem Velo, und nach einer halben Stunde waren wir schon am Fusse der Aengstligenalp. Der Aufstieg begann. Wir hatten Kerzen mitgenommen. Wir mussten aufpassen. Stockdunkle Nacht.
Der Pfad war zwar gar nicht so schmal, aber dafür ging es dann steil hinauf. Der Himmel war klar, wolkenlos.
Gerade im Zenith Wega, einer der hellsten Sterne, dann der Schwan, das nördliche Kreuz.
Sehr schön war auch der Grosse und der kleine Bär und der Drache zu sehen. So schön und so klar habe ich die Sterne nie mehr gesehen. Nichts war da, das das Licht der Sterne trübte. Wir hatten Rast gemacht. Ich sass auf einem grossen Stein. Wenige Meter vor mir der Abgrund. Ich schaute die Sterne an. Plötzlich taucht, etwa in Nordwest, ein Stern am“. Blitzsehnell überquert er den halben Himmel, einen langen Schweif mit sich ziehend. Sein Kopf ist etwa noch einmal so hell wie Venus. Ich glaube ihn zischen zu hören (Natürlich Einbildung.) In der Nähe der Wega ist er verschwunden. Sein Schweif ist etwa noch eine halbe Stunde lang zu sehen, dann ist alles wie vorher. Das war ein Prachtexemplar von einem Meteor. Der verdiente schon die Bezeichnung ”Feuerkugel" (so wurden die grossen Meteoren genannt, die manchmal so stark wie der Vollmond leuchten.) Ich habe schon viele Sternschnuppen gesehen, aber das war der schönste und grösste.
Die Brücke
Konkreter: Wenn der 22jährige Student F. D. am
15. Oktober 1943 drei Uhr vierzig Minuten und sieb-
zehn Sekunden Schweizer Zeit von einem Meteor
erschlagen worden wäre, als er nachts betrunken in
Bern über die Kirchenfeldbrücke in Richtung Hi-
storisches Museum nach Hause torkelte und dabei
durch das Eisengeländer auf den Fluß hinunterpin-
kelte, auf die Aare, als der Meteor zuschlug - zufällig
beobachtet vom Gurten aus, einem Hügel südlich
der Stadt, von einem ebenfalls betrunkenen Studenten
der Astronomie, der im Norden den Orionnebel
fotografieren wollte, der im Süden stand -, würde
diese Aussage im großen und ganzen mit der Wahr-
heit übereinstimmen und wäre nur insofern zweifelhaft,
als sich über die Genauigkeit einer Zeitangabe
streiten ließe und das „nach Hause“ eine bloße An-
nahme bedeuten würde. Doch wäre die Interpretation
der Aussage nicht leicht zustande gekommen.
Der verunfallte F. D. hätte genau untersucht und das
zufällig aufgenommene Foto des Astronomiestudenten
in einen unzweifelhaften Zusammenhang mit
dem Unfall gebracht werden müssen, eine sorgfältige
und lückenlose Indizienkette wäre notwendig
gewesen, somit eine beträchtliche Strapazierung der
Vernunft. Doch ließe sich anhand des Beobachteten
die Bahn des Meteors berechnen, trotz ihres nur se-
kundenlangen Aufleuchtens, es ließe sich nachweisen,
woher das kosmische Geschoß gekommen wäre, es
wäre ein Partikel der Protosonne gewesen, aus der
sich die Sonne entwickelt hätte. Die Interpretation
des unwahrscheinlichen Unfalls erwiese sich als deduktiv,
setzt doch die Möglichkeit, seine Bahn zu berechnen,
die Kenntnis der Gesetze der Schwerkraft
voraus. Der lächerliche Steinsplitter, der diesen lä-
cherlichen F. D. erschoß, war seit sechs Milliarden
Jahren im Sonnensystem herumgewandert, seit sei-
nem Anbeginn nämlich, bevor er, von irgendeinem
matterhorngroßen Miniplanetoiden abgelenkt, ins
Schwerefeld der Erde geriet und so unglücklich, aber
durchaus gesetzmäßig, niedersauste, daß der kosmi-
sche Unfall wie ein geplanter Mord aussah. Mit Ein-
schränkungen freilich: Je mehr wir vom Unfall, der
sich durch einen simplen Satz ausdrücken läßt und
eine ebenso simple, wenn auch wunderliche Interpretation
auslöst, auf die Faktoren zurückschließen,
die den Unfall auf der Kirchenfeldbrücke in Bern ermöglichten,
desto mehr geraten wir in immer kompliziertere
Interpretationen; sind die Gesetze der
Schwerkraft noch bekannt, wirft die Schwerkraft
selber schon Fragen auf, ebenso die Entstehung des
Meteors. Die Antworten auf diese Fragen, das heißt
die Interpretationen, werden nur noch wahrschein-
lich statt wahr, bis sie endlich ins bloß Mögliche,
Hypothetische führen. Sind Wahrheit und Interpretation
beim bloßen Faktum noch identisch, bei der
weiteren Rekonstruktion des Faktums klaffen sie
mehr und mehr auseinander. Das Mögliche braucht
ebensowenig wahr zu sein wie das Logische.