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2x Aigos Potamoi bei Lycosthenes, 1557

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Mettmann:
Guten Abend,

heut möcht ich mal zwei ältere Stücke präsentieren und zwar zum Fall von Aigos Potamoi

Ich weiß, ich weiß,.... einfach wischen zu den Posts mit den Bildern, wems graust.

Aigos potamoi, „Ziegenfluß“ war eine kleine Siedlung am gleichnamigen Flüsschen,
 - weniger sperrig würd das Örtchen bei uns wohl „Geißbach“ heißen -,
gelgen nordöstl. Sütlüce, wo heute das Dorf Kara-kova steht, an der Ostküste der Gelibuli/Gallipoli-Halbinsel,
die je her von überragendem strategischen Interesse war, von Alexander bis Churchill/Atatürk.
Hält man sie, ist sie leicht zu verteidigen und man kontrolliert nicht nur die Ein- und Ausfahrt zum/vom Schwarzen Meer,
sondern den Zugang zu Kleinasien auf dem Landweg, nicht nur militärisch,
sondern in Friedenszeiten einen der wichtigsten Handelswege und nicht zuletzt die Pilgerströme ins Gelobte Land.
Wir alle kennen übrigens indirekt diese Halbinsel,
hat sich doch dort die Tragödie aus dem schönen alten Küchenlied von den zwei Königskindern zugetragen.
 
Der Stein und sein Fall 467 v.Chr. findet Erwähnung bei zahlreichen antiken Autoren:
Diogenes, Aristoteles, Daimachos, Aetius, Plinius, Plutarch..,
wohl vor allem, weil Aigos potamoi der Stein des Anstoßes war für Anaxagoras‘ höchst umstrittener Hypothese
über die physisch Natur von Sonne und Mond – die Sonne wär ein entzündeter Stein, der Mond bestünde in Wahrheit aus Erde und habe Berge und Täler (und über die Herkunft der Meteorite) - und die Legende, er sei in der Lage gewesen, seinen Fall vorauszusagen,
aber auch weil er für eine lange Zeit als Sehenswürdigkeit ausgestellt worden war;
schließlich schreibt noch 500 Jahr später Plinius,  daß man den Stein immer noch besichtigen könne
und daß er (entgegen den übertriebenen Angaben anderer Autoren) nur mittelprächtig groß sei.
 
Und nicht zuletzt, weil der Aigos potamoi ein Prodigium gewesen sein soll,
für das Ende des Peleponnesichen Krieges, wo die Spartaner die komplette Flotte des Attischen Bundes
in einer Seeschlacht just vor der Küste bei Aigos Potamoi vernichtet und damit den endgültigen Untergang Athens besiegelt haben.

Mettmann:
Womit wir endlich zu den beiden Blättern kommen :
 
Sie stammen aus Conrad Wolffharts „Prodigiorum ac Ostentatorum Chronicon“ von 1557,
also der Chronik der Wunder- und Vorzeichen.
 
Oder, wart, machmers geschickter, Weitschweifigkeit wird von Teilen des Forums nicht gern gesehen
(oder als ostentum drohender geistiger Umnachtung gedeutet),
besprechmer die Blätter kompakt am End, dann kann man das Geschwafel wegscrollen).
 
Ein Prodigium ist ein selten auftretendes, ungewöhnliches Naturephänomen, das transzendental als Ankündigung eines künftigen,
in der Regel üblen Erignis.
Prodigien gabs schon in der Königszeit, waren aber eine ausgesprochene Spezialität der römischen Republik.
Der Senat muß sich mit dem jeweiligen Prodigium befassen und entscheiden, ob es der ganzen Republik gilt, also eine Staatsaffäre, mithin ein prodigium publicum ist,
oder von lokaler Natur, ev.gar nur Privatpersonen betrifft,
sodann im ersteren Fall welch Gott/Göttin da grad zürnt, sodaß man ihr/ihm recht heropfern muß, um das angekündigte Unheil abzuwenden.
In der Kaiserzeit scheints ihnen dann zu blöd geworden zu sein, da ist man dazu übergegangen, vorsorglich und turnusmäßig den einzelnen Göttern zu opfern.

Mettmann:
In der zweiten Hälfte des 4.Jhdts gabs einen Juilius Obsequens, zu dem außer seinem Namen nichts weiter bekannt ist,
der dann die historischen Prodigien chronologisch zusammengeschrieben und sie den politischen Ereignissen und sonstigen Katastrophen gegenübergestellt hatte, in seinem:
Liber prodigiorum.
 
War je her nur als Fragment erhalten, die Handschriften sind verlorengegangen – Achtung, jetzt bin ich nicht firm –
das den Zeitraum von 190 bis zur Titelverleihung des Augustus an Octavian 23 umfasst.
Ob das Liber ursprünglich ab urbe condita begonnen, weiß ich nicht.
 
Bedient hat sich Obsequens ausschließlich bei Livius,
(der wohl als bedeutendster röm. Geschichtsschreiber gelten würd, da seine römische Historie 42 (!) Bücher umfaßte,
von denen aber Dreiviertel verloren gegangen).
 
Im christl. Abendlande wurden die Prodigien entsprechend christlich aufgeladen,
Vorboten grauslichen Untergangs a la Sodom&Gomorhra, Ägyptische Plagen, Johannes-Apokalypse.
 
Haben wir ja schon öfters im Forum gehabt, anhand Beispielen von Einblattdrucken und Flugblättern,
wo von jeder natürlich das von Sebastian Brant zum Ensisheimer kennt, in dem der Fall Vorzeichen sei,
daß Maximilian dem Franzos nun tüchtig auf die Mütze gebe.
 
Der Julius Obsequens, wurde sodann erstmals 1508 von Aldus Pius Manutius in Venedig gedruckt.
 
Wolffhart packt sich den Julius und nach bester Humanistenart sammelt er aus vielen anderen historischen Quellen,
illustriert mit zahlreichen Holzschnitten, so wie ihr es aus der brühmtesten aller Chroniken kennt,
und hat am End ein Prodigienhistorie, die vom Anfang der Welt bis auf seinen heutigen Tag reicht;
bringt sie 1557 im Folioformat in Basel heraus
und gleichen Jahrs und Orts noch übersetzt von Johann Basilius Heroldt auf deutsch.
(soll sich ja auch gut verkaufen.)

Mettmann:
Endlich die Blätter!
Seite 75.
 
Sehen wir also die Holzschnitte und ihnen zur Seite gestellt,
um was für ein Vor- oder Wunderzeichen es sich gehandelt
und welche historischen Vorkomnisse sich danach geeignet.
 
An den Seiten haben wir die Zeitleisen,
links nach dem jüdischen Kalender vom Schöpfungstag an gezählt,
rechts nach christlicher Zeitrechnung.
Getrennt werden die Jahre im Text durch große Initialen.

Mettmann:
Nun, da sehen wir den Meteoriten fallen, bei einer Stadt am Fluß oder am Meer.
Aus dem Text daneben erfahren wir:
 
Ein Stein ist in (oder bei) dem Ägisfluß vom Himmel herabgestürtzt.
In demselben Jahr wurde Themistokles dem Stierblut* unterzogen,
Sokrates geboren.
Bald darauf verstarb der Perserkönig Artabanus, an seiner statt
folgte Artaxerxes, der unter dem Beinamen „Langhand“ bekannt ist,
nach.
Hermann der Krüppel.
 
*Stierblut – das war eine Hinrichtungsart;
es wurd ein Stier geopfert und dem Deliquenten ein Becher mir seinem Blut unter Zugabe eines Giftes gereicht.
Also eine andere Version des Schierlingsbechers,
den wer trinken mußte? Genau! Sokrates.
 
Hermann der Krüppel, da sagt man feiner, Hermann der Lahme
Und heute pc: Hermann von Reichenau.
(Mein Lieblingsuniversalgelehrter. Hatte das gleiche Leiden wie Stephen Hawkings)
Das ist die Quellenangabe.
Steht immer dabei, sehts ja für 463 drunter, Livius und Julius Obsequens.
 
Der Holzschnitt drunter ist ein brennender Himmel.
(Farbige Sonnenuntergänge durch Vulkanasche oder Saharastaub, Leuchtende Nachtwolken, Polarlichter, die südl. als üblich beobachtet…und was es da alles gibt).

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