Autor Thema: Seres - Griechenland (Fall: 1818)  (Gelesen 4538 mal)

Offline MetAur

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Seres - Griechenland (Fall: 1818)
« am: November 13, 2018, 13:19:14 Nachmittag »
Laut Datenbank gibt es nur einen einzigen anerkannten Meteoriten, der in Griechenland geborgen wurde: „Seres“.
Im Jahr 1818, wahrscheinlich im Juni, fiel er im Norden des Landes nahe der makedonischen Stadt, die heute Serres geschrieben wird.
Zwei große Teile des etwa 8,5 kg schweren Steins schenkte der damals dort herrschende osmanische Pascha Iussuf seinem deutschen Leibarzt Dr. Grohmann. Dieser gab sie an seinen früheren Lehrer, dem Naturforscher Prof. Ritter von Scherer in Wien, weiter. Von diesem wanderten schließlich die Hauptmassen im Jahr 1854 in das dortige Naturhistorische Museum, wo sie bis heute sind.
Erstmals jetzt, im 200. Jahr nach seinem Fall, kehrte Seres nach Griechenland zurück – wenn auch nur für wenige Tage: Vom 7. bis 11. November 2018 wurde er als Einzelstück in einem kleinen, wenig bekannten und vor allem von Schulklassen besuchten Museum in Athen präsentiert. Er ergänzt dabei eine kleine Fotoausstellung über die Arbeit des griechischen Geologen Ioannis Baziotis, der in der Antarktis Meteoriten eingesammelt hat.
Wie der Zufall es wollte, entnahm ich einer kleinen Notiz, dass die Stippvisite des Meteoriten Seres in Athen mit meiner dort zusammenfiel – eine Gelegenheit, die ich gern genutzt habe. Meine angehängten Fotos geben einen kleinen Eindruck vom ausgestellten 4,65 kg schweren Hauptstück dieses H4-Steins.
Mit Ferrière Ludovic, dem Kurator der Meteoritensammlung zu Wien, konnte ich mich einige Minuten unterhalten, bevor ein TV-Sender ihn zum Interview bat. Im Hintergrund liefen übrigens Live-Bilder von der Wiener Meteor-Radarstation; das Bombardement der Atmosphäre beeindruckte die wenigen Besucher nicht minder als der Stein.
Soweit mein Bericht von einem kurzen, aber schönen Intermezzo während meines Aufenthalts in der griechischen Hauptstadt.
 :hut: Dieter


Offline Thin Section

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Re: Seres - Griechenland (Fall: 1818)
« Antwort #1 am: November 13, 2018, 14:57:53 Nachmittag »
Wie der Zufall es wollte, entnahm ich einer kleinen Notiz, dass die Stippvisite des Meteoriten Seres in Athen mit meiner dort zusammenfiel – eine Gelegenheit, die ich gern genutzt habe. Meine angehängten Fotos geben einen kleinen Eindruck vom ausgestellten 4,65 kg schweren Hauptstück dieses H4-Steins.

Vielen Dank, Dieter, für das Einstellen der drei Bilder eines selten zu sehenden H4-Chondriten! Meiner Datenbank entnehme ich, dass er "black" ist - im zweiten Bild lässt sich das erahnen. Schöne Regmaglypten !  :super:

Bernd  :winke:
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Offline Ben Austria

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Re: Seres - Griechenland (Fall: 1818)
« Antwort #2 am: November 14, 2018, 03:48:20 Vormittag »
Danke Dieter für den Bericht und das Bild vom Seres Meteoriten.
Kürzlich konnte ich auch ein kleines Microstückchen vom Seres erwerben (ca. 10 mg).
LG
Ben

Offline metnet

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Re: Seres - Griechenland (Fall: 1818)
« Antwort #3 am: März 28, 2019, 16:00:37 Nachmittag »
Kann jemand sagen, warum tatsächlich nur ein Meteorit in Griechenland gefunden wurde (neben einigen zweifelhaften Fällen)? Ich spekuliere, dass es mit den Suchbedingungen im gebirgigen Gelände zu tun haben könnte. Andererseits sollte die teilweise karge Landschaft doch zumindest verhindern, dass die Fälle gleich unter Vegetation verschwinden. Griechenland hat immerhin ein Drittel der Landfläche Deutschlands. Ein einziger Fall ist also statistisch betrachtet ganz schön wenig. Woran mag das liegen? In der Antike waren die Griechen jedenfalls stark an Himmelsphänomenen interessiert - in der Gegenwart nicht mehr?

Jürgen

Offline Mettmann

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Re: Seres - Griechenland (Fall: 1818)
« Antwort #4 am: März 29, 2019, 00:59:46 Vormittag »
Das mag historische Gründe haben, daß Griechenland einfach keine Meteoritentradition entwickeln konnte.

Meteorite wurden ja Anfang des 19.Jhdts erfunden, genauso wie das Museumswesen und so gründen darauf im Grunde die bedeutendsten Metsammlungen nebst Forschung. Wien, London, Paris, Berlin, Moskau... da waren Meteoriten angesiedelt in Institutionen, die zusammen mit der Entwicklung des Nationalstaatengedankens, Prestige verheißen sollten.
Griechenland, wennst schaust von der Befreiung von den Osmanen bis zur Militärdiktatur in den 70ern, ist die letzten zwo Jahrhundert eine einzige Geschichte von Fremdherrschaft, Befreiungskriegen, Rebellionen, Bürgerkriegen, Besatzungen, Spaltungen usw. dazu entsprechend immer bettelarm. Wenn da mal einer ein bisserl länger am Drücker war, wie der Otto I. von Bayern, dann hatten die stets damit zu tun, überhaupt einmal eine Verwaltung aufzubauen (wiemer aus der Krise wissen, haben die Griechen bis heut nicht mal ein Grundkataster).
Dementsprechend gabs dort eben nie die nötige Wissenschafts- und Universitätsstruktur und wenn Museum, dann zur Förderung des Nationalgefühls saßen und sitzens ja dort auf ungeheuer reichen, antiken Schätzen.
Auch grenzte Griechenland immer an andere Länder, die zu der Zeit auf naturwissenschaftl. Gebiete völlig unbedeutend waren. So ist auch das Schrifttum über die Meteoriten im Altertum bis zur Mitte des 19.Jhdts. hptsl. von französischen und deutschsprachigen Autoren besorgt worden.
Auch ist bei Fremdherrschaft nie einer in Griechenland gewesen, der sich um Mets bekümmert hätt. Also anders als etwa London, das alles, was nur ging an Mets aus den Kolonien raffte oder das Habsburgische Österreich aus seinem Einflussgebiet (wobei der Keesa Franz den Findern Belohnungen gezahlt hat, daß den heutigen Wiener Kuratoren die Lätschn herunterfallen tadert).
Nuja und das Königreich Bayern hatte leider keine Mettsammlung, sondern da hungens alle der Mode des Philhellenismus an (also wie zuvor die Ägyptenbegeisterung im napoleonischen Frankreich). Und so ham sich zu Ottos Zeiten mehr um Arkadien gekümmert als um Mineralien - und haben die Griechen zum Dank mit dem greislig-lätscherten Spatenbier beglückt.
Also anders als bspw. Polen, das ja auch nach Belieben auf der Landkarte herumgeschoben wurd und zeitweis verschwand,
die waren immer Teil der europäischen Wissenschaftshochkultur geblieben
und deswegen mischen auch heute noch im Vergleich zu andern europäischen Flächenländern so erstaunliche viele polnische Meteoritenleute mit.

Also - die Griechen haben andere Sorgen gehabt und da es ihnen auch nie einer zahlt hätt, hat es dort kein Bedürfnis für Meteorite gegeben. So meine These.
(Man überprüfe sie durch Sprachkenntnis und Sondierung der griech. Trivial- und Populärliteratur des vergangenen Jahrhunderts auf das Schlagwort Meteorit hin).

Darauf ein Spaten...
 :prostbier:
Mettmann

PS: Danke Dieter fürs zeigen!
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(S.Laurel 1890-1965)

Offline metnet

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Re: Seres - Griechenland (Fall: 1818)
« Antwort #5 am: April 02, 2019, 16:43:20 Nachmittag »
Danke für diese eloquente und ausführliche Betrachtung. Mir scheint es so, als ob solche kulturellen Aspekte oft zu kurz kommen, wenn die geographische Verteilung der Funde debattiert wird. Wenn ich sehe, dass beispielsweise in China rund 350 Funde registriert wurden, dann ist das angesichts von Landmasse und Bevölkerungszahl (= potenzielle Beobachter) gar nichts. In China (obwohl ein prägendes Kulturvolk über Jahrtausende) gab es wohl ebenfalls wenig Interesse an Meteoriten. Nach dem zweiten Weltkrieg wollte man den Nantan am liebsten einschmelzen.

Die Griechen und Chinesen der Neuzeit haben in Meteoriten keinen "Wert" gesehen, denn aus ihrer Perspektive wäre allenfalls eine große schmelzbare Eisenmasse relevant gewesen. Wenn etwas wertlos erscheint, klettere ich ich weder in griechischen noch in chinesischen Berglanden herum. Sogar die geschäftstüchtigen Marokkaner haben bis zur Jahrtausendwende gebraucht um zu verstehen, dass sie die braunen Steine an Europäer und Amis verhökern können.

 

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