Autor Thema: Brand im Museu Nacional, Brasilien  (Gelesen 9846 mal)

Offline karmaka

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #15 am: September 22, 2018, 09:22:24 Vormittag »
Angra dos Reis wird weiterhin vermisst und man befürchtet einen Verlust ...

O meteorito que vale R$ 3 milhões e está perdido nos escombros do Museu Nacional (englische Übersetzung)

"It must have burned, damaged a bit, but it resisted, I have no doubt," says astronomer Maria Elizabeth Zucolotto, curator of the meteorite collection at the National Museum. She recalls that the rock survived even higher temperatures when it crossed the Earth's atmosphere. For its relevance, Angra dos Reis was kept hidden in the astronomer's room and was not exposed to the public."

"Since the fire, Zucolotto has been prevented from entering the building, sometimes by the Fire Department, now by the Federal Police or, more recently, by the Federal University of Rio de Janeiro. She wants to get in before the repairs and maintenance of the structures begin. "Is there a risk of stealing?" "I know that in the living room you can not go in, because the upstairs has come down." "But when they come in to prop up the walls?" "Someone can decide to take a souvenir or even dismiss it as a piece of the building "he despairs."

"Until recently, Elizabeth was the only one who knew where the Angra dos Reis is hidden, in a box that is not a safe. "I know where he is, I know the position of the closet, but he can not get the debris that fell on him."

Desperate, one day she passed badly in front of the museum. He feared a heart attack. It was not, but he decided to confide in other people the location of his treasure. Now, they and the ruins of the palace are the guardians of the only great known piece of the Angra dos Reis. "

Jetzt ist kollektives Daumendrücken angesagt! Was wäre das für ein unerträglicher Verlust!

 :traurig:

Offline ironsforever

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #16 am: September 22, 2018, 23:50:56 Nachmittag »
Zitat
"It must have burned, damaged a bit, but it resisted, I have no doubt," says astronomer Maria Elizabeth Zucolotto, curator of the meteorite collection at the National Museum. She recalls that the rock survived even higher temperatures when it crossed the Earth's atmosphere. For its relevance, Angra dos Reis was kept hidden in the astronomer's room and was not exposed to the public."

Ich fürchte, dass die kurze und heftige Erhitzung eines Meteoriten während seines Atmosphärenfluges unter dem Gesichtspunkt der permanenten Ablation (und des dabei von Hitze unbeeinflussten Interieurs) wohl kaum mit einer stundenlangen, vergleichsweise mäßigen Erhitzung eines kleinen Steines im Inneren eines brennenden Hauses vergleichbar ist. :crying:

Offline Mettmann

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #17 am: September 23, 2018, 14:05:31 Nachmittag »
....humm... :weissefahne:....
Bei aller Liebe zu den Meteoriten und zu unserer Fachidiotie,
ist der Verlust der Mets ehrlich gesagt doch am allerleichtesten zu verschmerzen.

Brasilien ist immerhin das fünftgrößte Land der Erde und das Nationalmuseum war das größte ethnologische Museum des Kontinents.
Wieviel bitterer ist doch der Verlust des bereits anfangs des letzten Jahrhundert begonnene Archivs zu den Sprachen der indigenen Völker. Die Sammlung an Wortschätzen, Grammatiken, Erzählungen, Legenden, Mythen, Religionen von mehreren Hundert (!) inzwischen ausgestorbenen eingeborenen Völkern und Stämmen, - und der überwiegende Teil davon wissenschaftlich noch unbearbeitet -
also im Grunde das komplette Wissen um hunderte Kulturen
- ist unwiederbringlich verloren.
Der wichtigste Teil des nationalen und supranationalen kulturellen Gedächtnisses ist vernichtet.

Das ist das wahre Drama des Brandes.
Und was für eine Tragödie, da das geschieht in Zeiten, in denen zum ersten Mal und seit mindestens zwei Generationen - ja und trotz des medialen Weltenendsgewimmers, das man hierzulande seit dem Untergang Romae Aeternae pflegt - die Grenzen fast aller Erst- und Zweitweltländer im wesentlichen festgeschrieben sind, sodaß sie sich gegenseitig nicht mehr mit Kriegen verheeren und selbst interne Umstürze und Bürgerkriege nicht mehr darauf abzielen, Kulturerbe zu plündern und kulturelle Identitäten zu vernichten.

Und was für eine politische Idiotie! Wirklich nix gegen den Forsboi, aber um was man sich die beiden neuen Redewendungen sete-um und gol da alemanha erkauft hatte!!  Nur als Durchschnittsbsp. das Pantanal-Stadion hatte rund 160 Mio Euro koscht. Fasst 43.000 Zuschauer - Zuschauerschnitt pro Spiel 2017:  766 ( siebenhundertundsechsundsechzig).
Für das Geld hätte man trotz Korruption das Nationalmuseum wohl gleich ganz neu bauen können - zumindest aber einen atombombensicheren Depotbunker für die 20 Millionen Exponate und Medien, die nun zerstört wurden.

Und Meteorite...hörts mir auf. Die haben rein gar keine regionale kulturelle, gar menschliche Eigenschaften, Attribute oder Information.
Dem Angriten ist es völlig wurscht, ob er in Brasilien, in Australien oder in Würzburg die Erde küsst. Das ist in 4,6 Milliarden Jahren eine Frage von wenigen Stunden oder Minuten.
Und anders als die Fossilien, Mineral- und Gesteinsproben, die Präparate aussterbender oder ausgestorbener Tierarten, die ebenfalls verbrannt sind, ist die Schutthalde zwischen Mars und Jupiter noch gut gefüllt und alle Meteorite wachsen nach.
Und das auch nicht in astronomischen oder geologischen Zeiträumen, sondern in sogenannten Lebzeiten.
Bisserl Geduld, der nächste Angrit, das nächste dicke Eisen fällt schon noch;
und, das ist die Lehre meiner Generation:
wenn man, anders als Zucolotto durch ihre einstige böse Tat bewiesen, auch alle mitmachen ließe und läßt,
dann findet sich Ersatz nicht nur deutlich schneller, sondern auch in deutlich größeren Mengen
und zu unakademischen Kosten.

Wenn wir also weinen,
weinen wir sinnvoller..

Meinjammanua

Mettmann

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #18 am: September 23, 2018, 14:28:08 Nachmittag »
*und kleiner Nachtrag, daß die Mets keine originär kulturelle Bedeutung haben,
zeigt ja der reichlich hilflose Versuch, ihnen Bedeutung zu verleihen, indem man ihnen ein Preiszetterl anhängt,
wie in der Überschrift des von kamarka überlieferten obigen Artikel.
3 Mio Reales sind natürlich kompletter Bullshit.
Weil es 630.000Euro sind.
Für 66g Angros/Angrit zahlt kein Sammler, kein Museum, keine Universität 740,000 US$.
Und ANSMET nur, wenn sies selber finden und dafür in spektakulären Landeschaften herumrutschen dürfen.


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Offline MetAur

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #19 am: September 23, 2018, 18:12:56 Nachmittag »
Deinem Hinweis, werter Mettmann, dass beim Brand zuvorderst andere und wahrlich wertvolle Kulturgüter bejammernswert zerstört wurden, kann ich nur zustimmen. Meteoriten sind von der Natur und nicht von Menschen geschaffen und somit kein originäres Kulturgut, auch da hast Du recht.
Jedoch zählt für mich zur Kultur nicht nur das Schaffen von Kunstwerken, sondern auch der Umgang mit besonderen Naturschöpfungen. Insofern wird der Meteorit zu einem Kulturgut, wenn man sich mit ihm beschäftigt, ihn sucht, untersucht, bearbeitet, ausstellt, anschaut.
Dass man einem Meteoriten einen Preiszettel (mit einem in den Medien übertriebenen Preis) anheftet, beweist weder das eine noch das Gegenteil: Auch ein Meistergemälde kann zugleich ein Kulturgut von "unschätzbarem" Wert sein - und bei der nächsten Auktion für einen sehr konkreten zig-Millionen-Betrag den Besitzer wechseln.
 :hut: Dieter
 




 

Offline Mettmann

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #20 am: September 23, 2018, 21:58:15 Nachmittag »
Ja jehnu, ich hatt halt die Befürchtung, daß wenn Außenstehende diesen Thread lesen,
wähnen müßten, daß wir hier eine Ansammlung von banausischen Volldimpfln seien,
wenn wir angesichts dieser unglaublichen Katastrophe einer handvoll eh schon brandfarbener Steine nachweinen...

Meteoritenkultur d'accord - nur erfüllt die ehem. Angra-dos-Reis-Walnuß die Tragik eigentlich kaum.

Angra dos Reis ist zigmal bearbeitet, analysiert und ausgemessen worden. Alles weithin veröffentlicht und somit erhalten.
Ja selbst das 66g-Stückerl selber ist von allen Seiten photographiert und gefilmt.
Und Angra dos Reis ist ja nicht für immer verloren, kratzt man allein die Stücke und Proben in den Sammlungen der Welt zusammen, die der Bulletin listet kriegt man schon noch soviel zusammen - wo das Gros der 1,5kg hingekommen, da müßte man die diversen Jahrbücher wälzen bzw. hoffen, obs noch Vor-Tschermaksche Aufzeichnungen gibt.
Auch denk ich, daß Angra dos Reis keine kleinstteilige inhomogene Brekzie ist, sodaß man aus dem verlorenen Stück etwas wesentlich anderes herauslesen könnte als aus den noch erhaltenen.

Für die Wissenschaft war das 66g-Spezimen sowieso Totholz;
denn es glaube keiner ernsthaft daran, daß Zucolotto und nachfolgende Generationen je erlauben werden würden, auch nur noch ein einzelnes Molekül von dem Steinchen abzuzwicken.
Nutzstück war es nicht,
Zierstück sowieso nicht - es war ja nie ausgestellt, macht ja auch nix her,  - so ein Popel neben der Bendego-Unmasse.
Kein Brasilianer, sofern er den kulturellen Drang danach verspürte, konnte es beäugen.

Wie steht es um den national-kulturellen ideengeschichtlichen Wert?  Brasilien ist kein Land mit Meteoritentradition, alle Erstberichte -analysen und -veröffentlichungen zu Angra dos Reis wurden in Europa hergeforscht und besorgt,
und alle wesentlichen und maßgeblichen modernen Untersuchungen an Angra dos Reis, die vor allem in den 70ern/80ern nach der Auffindung von d'Orbigny wieder einsetzen, wurden ebenfalls samt und sonders im Ausland erbracht, weils Brasilien zu der Zeit eben an know-how und Ausstattung gefehlt hat.
Und all das geschah natürlich nicht an dem 66g-Stück.
So möcht ich sagen, daß die Angra-Stücke in Wien, Albuqerqe oder London in der Hinsicht eigentlich den größern wissenschaftsgeschichtlichen Kulturwert haben, nur eben einen national-englischen, -amerikanischen oder k.&k.-seligen, gell?

Und wie schauts aus um den wissenschaftlichen Wert, also wenns darum geht, den Mutterkörper der Angriten zu erschließen und die Entstehung des Sonnensystems?
Nu, doch auch nicht so finster, haben wir doch neben den gesicherten Reststücken von Angra dos Reis noch:
- den 16.5kg-Brummer d'Orbigny
- unter etlichen Nummern 11kg gemischte aus der Sahara
- und 3 verschiedene aus der Antarktis 0,067kg.

Ja schad is scho, größte noch zusammenhängende Bröckerl des Klassenprimus,
aber letztlich eh weggepackt im Schachterl -eher ein Nice-to-have als ein identitätsstiftendes Kulturgut.

Wie vielmehr direkt schlecht wird einem, wenn man an die Dokumentation der Indigenen denkt. Völker, die nicht in Stein gebaut, keine Siedlungsspuren hinterlassen und die keine Schriftkultur hatten, da kann man archäologisch nix mehr erneut finden.
Keine Backup-Kopien und das meiste davon nicht in anderen Arbeiten anderwärtig veröffentlicht. Sprache, Kulturschatz, Gebrauchs- und Ritualgegenstände - alles weg, für immer.
Zum zweiten Mal ausgestorben und aus dem Gedächtnis der Welt einfach getilgt, als hätten sie nie gelebt.

(Mei und brasilianischer Kaisersaal, nicht falsch verstehen, aber Repräsentationsprotz aus Empire und Historismuskitsch steht auf Erden noch jede Menge rum, dito ist Barock in Südamerika an Kolonialem eh bedeutender und schöner).

Was kümmern einen da die paar Gäste aus dem All.
Der Bendego, wenn der wirklich durch die Brandhitze bis ins Herz rekristallisiert ist - es gibt noch etlich Kilo unbeschädigt in anderen Sammlungen. Und sollte sich die Form verändert haben, dann erarbeitet man aus den erhaltenen Aufnahmen ein Modell im Computer, schmeißt später den fetten 3D-Drucker an und baut sich Plaste-Hohl-Modell - und läßt die Brandleiche daneben a la Monument Gedächtniskirche zur Mahnung stehen.

So bitter der Verlust ist, der Hörb hat ja eine Inventarliste verlinkt,
die Meteoritensammlung in Rio war nicht von erstem Rang und der absehbare Schaden geht himmelweit über sie hinaus.

 :traurig2:
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Offline Mettmann

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #21 am: September 23, 2018, 22:32:57 Nachmittag »
Den Vergleich mit dem Kunstmarkt teile ich nicht. Die dort berichteten Preise sind in der Regel tatsächlich erzielte (auch wenn die Kaufgründe zweifelhaft sein mögen) oder realistische Schätzungen, mithin Preise die sich aller Voraussicht nach erzielen lassen müssten.
Merkt man i.Ü. jedesmal dann, wenn Rembrändter, Munche oder dgl. gemopst werden, wie groß die Verwunderung ist, daß die Stücke nicht versichert waren. Aber kein Museum könnte die Prämien derzahlen, wenn sie auf Marktwert versichern lassen müssten.

Die 3 Millionen Reales für die 66g Angra dos Reis sind indessen eine völlig frei ausgedachte Summe, die sich in keinem Falle, auch nicht im Entferntesten realisieren ließe, noch gibt es irgend einen Anhaltspunkt in der Vergangenheit, durch den man auch nur in die Nähe einer solchen Summe kommen könnte.

So groß der Verlustschmerz sein mag, rechtfertigts solche Phantasien nicht. Sowas zu nennen ist schlecht. Denn es gibt immer noch Leut an maßgeblichen Stellen, die sowas glauben. Schuld sind grundsätzlich die andern und paff hat man ein Metverbotsgesetz und die Nationalsammlung stagniert.

Und gäbe man einem Kuratorium eines Naturkundl. Museums eine Dreiviertelmillion Dollares in die Hand, dann käuften die sicherlich keine schwarze Nuss dafür, sondern stellten zu Weihnachten dem Jesuskindlein drei komplette sexy Triceratöpse ans Kripperl, weil die ungleich mehr Besucher/Einnahmen ziehen täten.

Wenns um Materialwiederbeschaffungswert "Angrit" geht - jott bin schon länger draußen - aber denke, das geht allermindestens um den Faktor 50 billjer her.

Ich kann mir wirklich kein Urteil anmaßen, mit welchem Selbstverständnis ein Kuratorium seine Sammlung bewirtschaftet,
aber was ich so in meiner aktiven Zeit mitbekommen habe - die einzelnen Ankaufsummen seit der Jahrtausendwende von Forschungs- und Universitätssammlungen für Meteoritenstücke sind überraschend und entsetzlich gering.
Die meisten sind ja eh so verfasst, da mit öffentl. Geldern arbeitend, daß sie finanzielle Rechenschaftsberichte abgeben müssen,
so könnte man mal einen Thread machen mit den größten Einzelankäufen weltweit der letzten 20 Jahre. Sechsstelliges wird man praktisch nicht finden, die meisten jammern ja schon bei 4stelligem na ja und für die direkte Foaschung, das bisserl jeweils für  Dünnschliffe und Mikrosonde, das geht auch bei Klassen, von denen man vor 2000 nur träumen konnte, in der Regel dreistellig ab.
(gut Arschkarte haben natürlich Nationalsammlungen mit Ankaufpflicht a la Danekrae - aber das können sich eh nur Länder mit sehr kleiner Fläche leisten. Man stelle sich einen Schauer von 500kg fadem H5er vor....)

Wie dem auch sei, sollte der Angra auf 3 Mio Reales versichert sein,
dann wäre das ein großes Glück und der Wiederaufbau der Sammlung mehr als gesichert.
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Offline MetAur

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #22 am: September 24, 2018, 09:19:03 Vormittag »
Die Einschätzung als und die Wertschätzung von "Kultur" ist individuell höchst verschieden und zudem Zeitgeist und Strömungen unterworfen. Man nehme als Beispiel nur die Musik: Der eine bangt um die zittrige Stimme eines Operntenors, der andere hat Sorge, dass Helene Fischer schwächelt. Auch Preise sind kein fixer Maßstab: Die der alten Meistergemälde steigen nahezu kontinuierlich, bei manchen neuen Künstlern geht es eher auf und ab wie an den Aktienbörsen.     
Bezogen auf das abgebrannte Nationalmuseum: Museen sind keine Forschungseinrichtung, sondern eher der "Showroom" von Sammlungen. Sie präsentieren ihre Objekte für Menschen, die diese anschauen und bestaunen, die wahrnehmen und lernen sollen. Würde man jedoch nur die Publikumsnachfrage zum Maßstab erheben, wäre wohl jeder riesengroße Dinosaurier das Wertvollste. Und dennoch spüren gebildete (und nicht eingebildete) Menschen, dass ein unscheinbarer Ritualgegenstand eines ausgestorbenen Volksstammes einen besonderen "inneren Wert" besitzt.
Und manchmal wird für manche ein Relikt zu einer Reliquie. Warum sonst sollte der Meteorit eines Falles, der von Augen bezeugt, aber nicht flugbahnmäßig erfasst wurde, mehr wert sein als der eines ähnlich alten Fundes? Vielleicht sind wir Menschen einfach so.
Allerdings scheint sich dies gerade heute sehr zu wnadeln, in dem die Generation der "digital natives" sich immer mehr daran gewöhnt, nicht Dinge in Händen zu besitzen, sondern beliebig vervielfältigbar miteinander zu teilen. Mit der Musik ist es bereits geschehen - Streaming statt Tonträger.
Vielleicht gibt es ja bald nur noch virtuelle Museen? Ich hoffe dies nicht, schließe aber wenig aus.

Offline Pinchacus

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #23 am: September 24, 2018, 15:16:17 Nachmittag »
Museen sind keine Forschungseinrichtung, sondern eher der "Showroom" von Sammlungen.

Tatsächlich ist das bezogen auf die naturkundlichen und in zunehmendem Maße auch die völkerkundlichen Museen (abgesehen von den meisten kleinen Heimatstuben und kommunalen Einrichtungen) nicht wahr, weder in Bezug auf die Tätigkeitsfelder der dort Arbeitenden, die Mittelzuweisungen noch die Personalverteilungen. Diese sind in der Hauptsache Forschungseinrichtungen, siehe z.B auch https://www.leibniz-gemeinschaft.de/institute-museen/forschungsmuseen/ oder eine Menge aus der Liste hier: https://www.museumsbund.de/mitgliedsmuseen/

Museen sind allerdings, verglichen mit reinen Forschungsinstituten, oft besser darin Forschungsergebnisse für ein breites Publikum aufzubereiten.
So lange Fiktionsapparaturen latente Illusionen nicht manifestieren können, ist eine Realisation des Illusionären latent Fiktiv!

Be more specific! http://www.youtube.com/watch?v=PusCpQIbmCw

Offline MetAur

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #24 am: September 24, 2018, 16:15:14 Nachmittag »
Ich kenne und schätze das Konzept der besonderen Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft durchaus.
Mit "Museum" meinte ich hier jedoch allgemeiner eine Einrichtung, wie sie auch vom International Council of Museums (ICOM) definiert wird, nämlich (auf deutsch): "Ein Museum ist eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“
Hier kommt "erforscht" auch vor, aber in einer Reihung, die auch der in der Bevölkerung üblichen Vorstellung nahe kommt, wenn man sagt: "Am Sonntag gehe ich ins Museum."
Ein Museum ohne nennenswerte Forschung ist jedenfalls häufiger anzutreffen als eines ohne Ausstellung, falls sich dieses überhaupt Museum nennen dürfte.
Eine Ausnahme stellt die historische Forschung zur Technikgeschichte und der gesellschaftlichen Rezeption von Objekten, einschließlich deren Sammlung, dar. So kann das Deutsche Museum viel dazu sagen, wie sich Automobile und Flugzeuge in der Pionierzeit entwickelt haben, sie werden dort aber gewiss keine Verbrennungsforschung betreiben, um deren heutige Motoren bzw. Triebwerke zu verbessern.
Aber sei's drum  :prostbier: - vermutlich sind wir uns ja einig, dass Museen mit gut aufbereiteten Ausstellungen viel zu wichtig sind, um nicht von allen geschätzt und angemessen finanziert und gepflegt zu werden.

Offline Mettmann

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #25 am: September 24, 2018, 16:52:08 Nachmittag »
Hopserla, jetzt hat ich schon dieses hemdsärmlige geschriem:

Zitat
Museen sind keine Forschungseinrichtung, sondern eher der "Showroom" von Sammlungen

Würd sagen, in der Regel ist das Gegenteil der Fall
und bei naturkundlichen, ethnographischen, archäologischen, technischen und schriftthümlichen (i.e. Bibliotheken), ganz besonders.

Den zwar ursprünglichen Ansatz des bloßen Anhäufens und Konservierens ist doch schon seit über 200 Jahren passé.
Klar, seit zig Jahrhunderten haben Klerus und herrschende Dynastien sich die Säle und Kabinette vollgeladen mit Kunstschätzen (mit der Betonung auf "schatz"), zur eigenen Verherrlichung, zur Untermauerung ihres Machtanspruchs und zur Repräsentation/Protzung, aber vor ausgewählten Zirkeln und der nachgeordnete Adel eiferte ihnen nach.
Die waren ja auch die fast alleinigen Auftraggeber für die Kunst über all die Jahrhunderte.
Das ändert sich erst ein bisserl zur Frühen Neuzeit mit der Entwicklung des Städte- Bürger- Patriziertums, der Vervielfältigung der Informationsvermittlung durch den Buchdruck und des Ressourcenzustroms/Handelsexplosion durch die Ausplünderung der Neuen Welt.
Tja und dann, Aufklärung, Abkehr vom Absolutismus, Entstehung der bürgerlichen Klasse, industrielle Revolution, Geldadel, Bevölkerungsexplosion - da hast dann ein neues selbstbewusstes Bildungsideal, eine Kanonisierung der Kunst, neues Mäzenatentum
und spätestens eben in diesem 19.Jhdt öffnen die Regenten ihre Galerien und Schatzkammern für die Allgemeinheit.
Gleichzeitig hast den Fortschritt hin zur modernen, der systematischen Wissenschaft, sodaß die Kuriositätenkabinette und Wunderkammern keine bleiben. (Was hatte der arme Tycho noch unterm Kaiser Rudolph gelitten...)

Die großen Museen stehen samt und sonders in Haupt- und in Universitätsstätten. Engstens vernetzt, öfters unter einem Dach. Alle Naturkundlichen Museen sind zugleich Forschungseinrichtungen. Das, was Du in den Schauräumen siehst, ist meist nur der letzte Puderzucker auf der Spitze des Eisberges und nur der eine Teil, der gesellschaftlichen Übereinkunft, was eine Sammlung zu leisten hat. Das meiste 80,90, 95, 99% liegt im Depot, sind in der Regel ja riesige Bauwerke, in den Istituten, ist auf Dependancen verteilt, aus Platzmangel in externe Depots ausgelagert. Wir sind ja nicht in der Quantenphysik oder der Mathematik, sondern das ist das very Beef an dem permanent geforscht wird und zu dem Neues in Bezug gesetzt werden muß,  wie genauso die Naturkundler von dort weiterhin ihre Expeditionen unternehmen, ihre Forschungsarbeiten beantragen und veröffentlichen, denk z.B. an die Archöologie, die oft jahrzehntelangen deutschen Grabungskampagnen, die Du öfters am Samstag Abend im Fenzi serviert bekommst und die in der Regel in Kooperation mit den dortigen Nationalmuseen geschehen, denn da kommt das Zeug ja hin usw. usw. usw. und die Kuratores, die das hüten, forschen noch selber, haben öfters gar Lehraufträge ect ect.
Und die Bestände sind mancherorts so riiiiesig, und unüberschaut, daß manch sensationellere Neuentdeckung gemacht wird, wenn man in den Sammlungsbestand geht, statt um den Globus zu reisen.

Die Meteoritenneufälle, die kommerziellen Neufunde, damit die offiziell anerkannt werden, die kannst  ans Naturkundemuseum in Berlin, in Wien, in Paris, ans Royal Ontario schicken, die machen die top-notch-state-of-art Analyse des Materials und besorgen die Erstveröffentlichung - und das kriegst bei den allermeisten Universitäten nicht! - aktueller kann Forschung nicht sein.

Das ist etwas grundauf anders, als wenn ein reicher Mensch oder Industrieller seine private Kunstsammlung in eine Stiftung überführt, ein Ausstellungsgebäude drum baut oder sich ein solches von einer Verwaltungseinrichtung zur Verfügung stellen läßt,
und Du gehsts dann am verregneten Sonntag anschaun; solche Sammlungen sind nahezu statisch.

Die Art Museen um dies hier geht, sind nicht einfach nur alte durchsichtige Einmachgläser, sondern sie leben und wachsen und weben
und generieren immer neue Ergebnisse und Wissen.

Wenn in Rio nur die Ausstellunsräume ausgebrannt wären, wärs zwar eine Tragödie, aber keine Katastrophe.
Daß die Depots vernichtet worden sind, ist das ganz Üble. Da lagen die Forschungsgegenstände der Vergangenheit und mehr noch, die der Zukunft. Und viele davon eben nie mehr ersetzbar.

Scharlochz
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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #26 am: September 24, 2018, 17:25:43 Nachmittag »
Ehm und grad bei den Meteoritenabteilungen der großen Naturkundlichen Museen,
ist es ja schon historisch so gewachsen, daß das die Hauptstandorte der Meteoritenforschung waren und die Kuratoren gleichzeitig die größten Fachkoryphäen ihrer Zeit.
 
Buchemfpehlung,
da "The History of Meteoritics and Key Meteorite Collections" wohl zu speziell und daher zu trocken ist.

Hab ein neueres Buch abgestaubt:
F.Brandtstätter, L.Ferrière, C.Köberl:  Meteoriten - Zeitzeugen der Entstehung des Sonnensystems,  im Verlag NHM wien, Baden, 2013
Ist ein sehr schönes Bilderbuch
und elegant gemacht, da die üblichen Kapitel der einführenden oder Überblicksbücher hier ausschließlich und kursorisch in die Bildtexte (in deutsch und english)gepackt sind.
Und bei 270 Seiten koschts gebraucht manchmal auch nur um die 20Euro (neu 35Euro) für die gebundene Ausgabe.
Hat natürlich den Fokus auf Wiener Stücke und Kapitel über die Historie der Sammlung.*

Kaufbefehl. Das stellen sich auch die ganz alten Hasen gern ins Regal.

ISBN 978-3-901753-43-5
oder
ISBN 978-3-901753-68-5


*da steht aber nicht drin, daß der Käeser Franz-Joseph dem Auffinder eines Meteoriten bei Fall auf habsburgisches Einflussgebiet,
jedesmal 500 Gulden Belohnung überwiesen hat (Für Kleinhäusler eine Riesenstange Geldes). Der hat halt Anstand ghabt.
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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #27 am: September 24, 2018, 20:00:52 Nachmittag »
Zumindest bei den Buchempfehlungen sind wir uns sofort einig.

Das von McCall/Bowden/Howarth zusammengestellte "The History of Meteoritics and Key Meteorite Collections" (sag ich doch: historische Sammlungsforschung  :einaugeblinzel:) ist sehr - ich würde nicht sagen: trocken, sondern: - inhaltsreich.
Brandtstätter/Ferrière/Köberl ist für mich ein Muster, wie man ausgezeichnete Fotos und knapp formulierten Text zu einem ästhetisch und didaktisch ansprechenden Werk verbinden kann.
Ergänzend empfehle ich für den frankophonen Leser noch "Une belle histoire des météorites" von Gounelle vom Museum in Paris.

Ja, diese und weitere Werke zeigen, dass man im Museumsbetrieb nicht nur Gegenstände sammelt, ordnet, aufbewahrt und zeigt, sondern auch Wissen sammelt und fachliterarisch :user: aufbereitet. Ohne die Diskussion neu entfachen zu wollen: Ich habe den Begriff des Museums so gemeint, wie er (s.o.) meines Wissens international definiert ist und wie er auch recht ähnlich im Alltag verstanden wird.

   

Offline karmaka

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #28 am: Oktober 23, 2018, 21:43:57 Nachmittag »
Angra dos Reis wurde am Freitag gefunden!  :wow:

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« Letzte Änderung: Oktober 23, 2018, 22:02:30 Nachmittag von karmaka »

Offline herbraab

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Re: Brand im Museu Nacional, Brasilien
« Antwort #29 am: Oktober 24, 2018, 00:36:49 Vormittag »
Ich weiss nicht, ob ich lachen :smile: oder weinen :crying: soll, so wie der aussieht...
Die Hoffnung, dass der Angra dos Reis in einem Safe aufbewahrt wurde und somit das Feuer mehr oder minder unbeschadet überstanden haben könnte, hat sich jedenfalls zerschlagen.

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Herbert
« Letzte Änderung: Oktober 24, 2018, 00:55:14 Vormittag von herbraab »
"Daß das Eisen vom Himmel gefallen sein soll, möge der der Naturgeschichte Unkundige glauben, [...] aber in unseren Zeiten wäre es unverzeihlich, solche Märchen auch nur wahrscheinlich zu finden." (Abbé Andreas Xaverius Stütz, 1794)

 

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