Autor Thema: Chondritenbildung in Steinmeteoriten  (Gelesen 9106 mal)

Thin Section

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #15 am: Dezember 04, 2008, 21:13:43 Nachmittag »
Guten Abend Forum,

Zum Thema Entstehung von Chondren (nicht Chondriten, Achim!) in Chondriten noch dieses:

Der inzwischen leider verstorbene R. Hutchison hat die bis 2004 gängigen Theorien zur Entstehung mit all ihrem Für und Wider zusammengefasst und zwar auf den Seiten 231-233 in seinem Buch:

HUTCHISON R. (2004) Meteorites: A Petrologic, Chemical, and Isotopic Synthesis (Cambridge Planetary Science Series).

16 nebeneinanderstehende oder bestehende Theorien, die bezeugen, daß hier noch lange nicht das letzte Wort gesprochen sein dürfte! Sie haben alle ihr Für und Wider (bei Hutchison For und Against genannt) aber das hier einzubringen, würde zu weit führen.

Planetare Theorien:

(1) Kondensation von Flüssigkeitströpfchen in heißen Atmosphären gigantischer Protoplaneten
(2) Meteorablation: Abspaltung von Tröpfchen von festen Körpern, die in die Planetenatmosphären eindringen
(3) Impaktaufschmelzung von Planetesimalen im Größenbereich von wenigen Metern
(4) Impaktaufschmelzung von Planeten oder großen Asteroiden
(5) Magmatismus/Vulkanismus auf Planeten oder großen Asteroiden
(6) Kollisionsspritzer geschmolzener Planetesimale
(7) Wiederholtes Zerreißen und Wiederzusammenfügen durch Kollisionskräfte oder Gravitationskräfte von teilweise geschmolzenen, differenzierten Asteroiden oder planetaren Körpern.

Nebulare Theorien:

(1) Kondensation von Flüssigkeitströpfchen aus Gas in einem heißen Nebel im inneren Bereich des Sonnensystems, oder aber:
(2) Erhitzung fester, bereits vorhandener Materie in einem heißen Nebel im inneren Bereich des Sonnensystems
(3) Erhitzung fester, bereits vorhandener Materie in einem heißen Nebel im inneren Bereich des Sonnensystems während Ausbrüchen von FU Orionis Sternen
(4) Ablation fester Materie oder thermische Aufbereitung körnigen Materials bei bipolaren Abfließvorgängen von Materie
(5) Erhitzung von Chondrenursprungsmaterie in lokalen Blitzentladungen
(6) Erhitzung von Chondrenursprungsmaterie nach magnetischen Flares und "reconnection events" (hab' kein deutsches Wort dafür)  :traurig:
(7) X-Wind Modell, eine T Tauri Variante von (6). Chondren bilden sich, indem feste Chondrenursprungsmaterie am inneren Rand der planetaren Scheibe aufgeschmolzen wird; durch den X-Wind werden sie dann nach außen getragen und fallen im Bereich des Asteroidengürtels auf die planetare Scheibe zurück
(8) Reibungserhitzung interstellarer Chondrenursprungsmaterie beim Durchgang durch erhitztes Gas – erhitzt durch den Akkretionsschock, verursacht durch Gas aus der Muttermolekülwolke, die auf die protoplanetare Scheibe fällt
(9) Chondrenursprungsmaterie, die in der protoplanetaren Scheibe entstand, war bei Schockvorgängen (ausgelöst durch wiederholt auf die planetare Scheibe einstürzende Materie) beträchtlichem Gaswiderstand oder Strahlungshitze ausgesetzt.

So, ich glaube, jetzt tauche ich besser mal wieder ab!  :weissefahne:

Gruß,

Bernd x-02
« Letzte Änderung: Dezember 04, 2008, 22:13:18 Nachmittag von Thin Section »

Offline Hungriger Wolf

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #16 am: Dezember 04, 2008, 21:16:50 Nachmittag »
Hallo Mark, Ingo und Bernd!


Jetzt verstehe ich die Chondrenbildung schon viel besser!
Danke! :danke:

schöne Grüsse von :prostbier:
Achim

Offline gsac

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #17 am: Dezember 04, 2008, 22:12:21 Nachmittag »
Der inzwischen leider verstorbene R. Hutchison hat die bis 2004 gängigen Theorien zur Entstehung mit all ihrem Für und Wider zusammengefasst und zwar auf den Seiten 231-233 in seinem Buch:

HUTCHISON R. (2004) Meteorites: A Petrologic, Chemical, and Isotopic Synthesis (Cambridge Planetary Science Series).

16 nebeneinanderstehende oder bestehende Theorien, die bezeugen, daß hier noch lange nicht das letzte Wort gesprochen sein dürfte! Sie haben alle ihr Für und Wider (bei Hutchison For und Against genannt) aber das hier einzubringen, würde zu weit führen.

Bernd nennt hier eines der momentan wohl immer noch weitgehend aktuellen Standardwerke der
Meteoritenliteratur. Empfehlenswerte Anschaffung! Ich weiß nicht, was das jetzt aktuell kostet,
aber ich habe mein Exemplar Anfang des Jahres bei amazon.com bestellt und $84.90 für das Buch
plus $12.48 für Shipment und Handling, macht zusammen $97.38, bezahlt - eine aus meiner Sicht
lohnenswerte Investition.

Auf den Seiten 231-233 sind, wie Bernd schreibt, die gängigen Theorien der Chondrenentstehung
nach Art einer Tabelle zusammengefaßt, auf den Seiten 219-229 steht es unter dem Thema "Origin
of chondrules" beschrieben, übrigens gefolgt von einem Kapitel über "Origin of calcium-aluminium-rich
inclusions [CAIs]".

Wer sich noch intensiver damit beschäftigen will, liest "Meteoritics and Planetary Sciences" (MAPS),
das Journal der Meteoritical Society....

Das "letzte Wort" zur Chondrengenese scheint indes noch lange nicht gesprochen zu sein, anders als es
der übrigens sehr einprägsame und gut gemachte (...bis auf fehlende Demonstrationsobjekte!!!) Beitrag
von Prof. Lesch suggeriert. Ich denke, Herr Lesch hat sich da als "best guess" einfach eine der Theorien
herausgesucht, die gut zu den Beobachtungen und den Regeln der Elektrothermodynamik paßt. Ob es die
letzte Wahrheit oder Teil einer letzten Wahrheit ist, wird sich noch zeigen, denn dieses Thema ist in der
Wissenschaft noch nicht abgeschlossen und wird weiterhin kontrovers und lebhaft diskutiert, wie man in
Tagungsberichten oder den Fachjournalen nachlesen kann.

Alex
« Letzte Änderung: Dezember 04, 2008, 22:35:55 Nachmittag von gsac »

Thin Section

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #18 am: Dezember 04, 2008, 23:04:42 Nachmittag »
Guten Abend Alex und Forum,  :wa:

Zitat
Bernd nennt hier eines der momentan wohl immer noch weitgehend aktuellen Standardwerke der Meteoritenliteratur. Empfehlenswerte Anschaffung!

Auf alle Fälle eine sehr empfehlenswerte Anschaffung, wenn nur die Bilder bzw. Photographien nicht so miserabel wären!!! Hier kommt natürlich wieder O.R. Norton ins Spiel mit seinen beiden, Maßtäbe setzenden Werken:

1) NORTON O.R. (2002) The Cambridge Encyclopedia of Meteorites (Cambridge University Press, ISBN 0 521 62143 7, pp. 354).
2) NORTON O.R. (2008) Field Guide to Meteors and Meteorites (Patrick Moore's Practical Astronomy Series, ISBN 978-1-84800-156-5).

Exzellente Bilder, für den Laien verständliche Erklärung schwieriger Sachverhalte, Begeisterung weckende Darstellung!

Aber: vom Inhalt her habe ich in der letzten Zeit immer öfter zu Hutchison gegriffen, ... das muß auch gesagt werden. Nur würde ich als Einsteiger bei unserem faszinierenden Hobby bei Hutchison wahrscheinlich oft nur "Bahnhof und Abfahrt" verstehen, womit wir wieder bei O.R. Norton wären.

Bahnhof,
Abfahrt,

Bernd  :we:

Offline gsac

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #19 am: Dezember 04, 2008, 23:29:50 Nachmittag »
Kurze Frage/Bitte an den Admin: kannst Du "Chondritenbildung" im Threadtitel durch
"Chondrenbildung" ersetzen, oder wäre das schon zu viel einer vernünftigen Zensur?

Bernd, Du hast recht, die Bilder sind eher miserabel, aber es scheint eine ungeschriebene
Regel zu sein, daß Bilder in Referenzwerken einen anderen "Info-Transportwert" haben als
Abbildungen in Büchern, die sich mehr an ein breites Publikum wenden, welches optisch
ansprechender bedient werden will, damit es das Buch überhaupt kauft. Das Hutchison-
Buch ist insofern wohl eher nicht an den meteoritischen Laien gerichtet, sondern steht
in der Tradition von Lehrbüchern alten Stils. Selbst für die Bücher von Hap McSween läßt
sich das m. E. sagen, oder sogar die erste Ausgabe von Nortons "Rock from Space"...

Aber es gibt auch qualitativ sehr gut bebilderte Klassiker mit hohem Anspruch, die das
Gegenteil beweisen ---> z. B. Vagn Buchwalds berühmter Dreiteiler über Eisenmeteorite,
selbstverständlich ganz in dezentem, aber gut aufgelöstem s/w!

Nortons letztes Buch oder auch schon seine Encyclopedia sprechen dann eine ganz andere
optische Sprache. Oder man schaue nur in die tollen "Bilderbücher" von Killgore/Lauretta
oder die "Sammlungsbücher" von z. B. Jim Schwade oder Bob Haag...

Alex

 

Offline paragraf

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #20 am: Dezember 04, 2008, 23:42:19 Nachmittag »
Die Sterne (und nichts anderes als ein Stern ist auch die Sonne) haben sich aus Staubscheiben gebildet. Es gab also allein in unserer Milchstrasse in der Geschichte viele Milliarden verschiedene und räumlich getrennte Staubscheiben, aus der sich dann jeweils ein Stern und manchmal auch ein Planetensystem gebildet hat.

Wenn das so sein soll, welche Kraft hat dann die vielen Staubscheiben zu Scheiben geformt?   x-12

Gruß
§Bernd

Offline pallasit

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #21 am: Dezember 04, 2008, 23:50:52 Nachmittag »
Guten Abend Forum,

HUTCHISON R. (2004) Meteorites: A Petrologic, Chemical, and Isotopic Synthesis (Cambridge Planetary Science Series).
Dieses Buch ist für mich das klassische Lehrbuch. Damit kann sich auch ein studierter Mineraloge lange beschäftigen.

Wer noch einen Schritt weiter gehen möchte, dem empfehle ich ein schon etwas älteres Nachschlagewerk. Jeder Wissenschaftler der sich mit Meteoriten beschäftigt hat es auf seinem Schreibtisch liegen. Sehr detailreich, ist sozusagen die Grundlage zur Klassifikation von Meteoriten.

PAPIKE J.J. (1998): : Planetary Materials (Mineralogical Society of Amerca). ISBN 0939950464.
http://www.minsocam.org/MSA/Rim/Rim36.html

 x-09
Grüsse Willi

Offline gsac

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #22 am: Dezember 05, 2008, 00:15:55 Vormittag »
Wenn das so sein soll, welche Kraft hat dann die vielen Staubscheiben zu Scheiben geformt?   x-12

Klassische Mechanik --> Erhaltungssätze (Energie, Drehimpuls) und dazu Gravitation.
Eine ganz nette Zusammenfassung findet sich übrigens hier:

http://www.biosphaere.info/biosphaere/inhalt.php?artnr=000057&thema=UUTUGE

Alex

Offline gsac

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #23 am: Dezember 05, 2008, 00:19:26 Vormittag »
PAPIKE J.J. (1998): : Planetary Materials (Mineralogical Society of Amerca). ISBN 0939950464.
http://www.minsocam.org/MSA/Rim/Rim36.html

Klasse Buch, leider bisher in genau dieser Form wohl nicht fortgeschrieben....  x-06

Alex

Thin Section

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #24 am: Dezember 05, 2008, 11:46:54 Vormittag »
Guten Morgen, bzw. guten Tag Forum,

Hier eine kurze, prägnante Formulierung aus dem Jahr 2004:

Zitat
ZANDA B. (2004) Chondrules (Earth and Planetary Science Letters 224, no 1-2 , Pages 1-17, 30 July 2004): The current most popular mechanisms for forming chondrules in a nebular setting are radiation emitted by the protosun in the X-wind setting or shock waves propagated in the protoplanetary disk.

Die beiden, zur Zeit gängigsten Theorien bezüglich des Mechanismus der Entstehung von Chondren in einem solaren Urnebel sind:

(1) Strahlung, ausgehend von der Protosonne in einem X-Wind Umfeld
(2) Shockwellen, die sich in der protoplanetaren Scheibe ausbreiten.

Gruß,

Bernd  x-00

Thin Section

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #25 am: Dezember 05, 2008, 14:07:47 Nachmittag »
Dann wäre da noch dieser Auszug aus einem Artikel in MAPS:

Zitat
It is important to understand the origin of chondrules because of their prevalence in primitive (chondritic) meteorites and because of the clues that they may therefore provide about the early accretional period of solar system formation. Most detailed analyses have inferred that these millimeter-sized, once-molten inclusions formed in short-duration heating events in a relatively cool, dust-rich solar nebula environment (Taylor et al., 1983; Wood, 1984; Hewins, 1988; Grossman et al., 1988; Grossman, 1988, 1996). Many chondrules have apparently been thermally processed repeatedly and some contain recycled fragments of previous generations of chondrules (Kring, 1988, 1991; Alexander, 1994). Multiple heating events are therefore indicated. Similar, but somewhat modified, characteristics have been inferred for larger calcium-aluminum-rich inclusions (CAIs) that are prevalent in some carbonaceous chondrites (MacPherson et al., 1988). In addition to the basic requirement of rapid, multiple heating events in a relative cool nebula, meteoritic data have imposed several additional constraints that must be satisfied by any successful chondrule formation model. Among these are the experimentally derived temperature conditions of chondrule formation.

Quelle: HOOD L.L. et al. (2001) The scale size of chondrule formation regions: Constraints imposed by chondrule cooling rates (MAPS 36-12, 2001, pp. 1571-1585).

Übersetzung der wichtigsten Passagen:

Die meisten ins Detail gehenden Analysen gehen davon aus, daß diese millimetergroßen, einstmals geschmolzenen Einschlüsse sich bei Aufheizungsvorgängen von nur kurzer Dauer in einem relativ kühlen, staubreichen Umfeld des Sonnennebels gebildet haben. Viele Chondren sind augenscheinlich wiederholt Veränderung durch Hitzeeinwirkung ausgesetzt gewesen und einige unter ihnen enthalten umgebildete Fragmente früherer Chondrengenerationen. Dies weist darauf hin, daß sie mehrfach Erhitzungsvorgängen ausgesetzt waren... Zusätzlich zu der Grundbedingung schneller, mehrfacher Erhitzungsvorgänge in einem relativ kühlen solaren Nebel erfordern die bei der Untersuchung von Meteoriten gewonnenen Daten weitere zwingende Einschränkungen, ohne die keinem der Entstehungsmodelle zufriedenstellender Erfolg beschieden ist. Dazu gehören die experimentell gewonnenen Temperaturbedingungen der Chondrenentstehung.

Gruß,

Bernd :wa:

Thin Section

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #26 am: Dezember 05, 2008, 14:28:54 Nachmittag »
Und das noch:

VOGEL N. et al. (2004) Noble gases in chondrules and associated metal-sulfide-rich samples: Clues on chondrule formation and the behavior of noble gas carrier phases (MAPS 39-1, 2004, 117-135):

Zitat
Chondrules are small silicate spherules in primitive meteorites that show evidence for a once molten stage. Although they are common in most chondrite groups (e.g., Brearley and Jones 1998), their formation mechanism(s) and environment(s) are uncertain. The two main theories are nebular chondrule formation by melting of dust-ball precursors and chondrule formation in a planetary environment (see, e.g., Brearley and Jones [1998] and Rubin [2000] for comprehensive reviews about chondrule formation and heating models).

Chondren sind kleine Silikatkügelchen in primitiven Meteoriten, die Indizien zeigen, daß sie sich einmal in einem geschmolzenen Zustand befunden haben müssen. Obwohl man sie in den meisten Klassen der Chondrite findet, ist es bislang ungewiss, wie genau und wo genau (im solaren Urnebel) sie entstanden sind. Die beiden gängigsten Theorien sind, daß sie entweder aus einem Nebel entstanden sind, indem ursprünglich vorhandene kugelige Staubklümpchen aufgeschmolzen wurden oder, daß sie in einem planetaren Umfeld gebildet wurden.


Ciao,

Bernd :we:

wannkommtdernächste

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #27 am: Dezember 05, 2008, 15:54:02 Nachmittag »

Dank @all für die Literaturhinweise, und namentlich an Bernd: das sind sehr schön ausgewählte Stellen zum Thema.

Kann jemand von naturwissenschaftlicher Seite her sagen, ob es denkbar wäre, den differenten Konzepten - hauptsächlich nah-planetare oder präsolare-Nebel-Genese - qua Simulation der Bedingungen im Experiment auf den Zahn zu fühlen?


wannkommtdernächste

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #28 am: Dezember 06, 2008, 01:11:17 Vormittag »
Guten Abend Forum,

Zum Thema Entstehung von Chondren (nicht Chondriten, Achim!) in Chondriten noch dieses:

Der inzwischen leider verstorbene R. Hutchison hat die bis 2004 gängigen Theorien zur Entstehung mit all ihrem Für und Wider zusammengefasst und zwar auf den Seiten 231-233 in seinem Buch:

HUTCHISON R. (2004) Meteorites: A Petrologic, Chemical, and Isotopic Synthesis (Cambridge Planetary Science Series).

16 nebeneinanderstehende oder bestehende Theorien, die bezeugen, daß hier noch lange nicht das letzte Wort gesprochen sein dürfte! Sie haben alle ihr Für und Wider (bei Hutchison For und Against genannt) aber das hier einzubringen, würde zu weit führen.

Planetare Theorien:

(1) Kondensation von Flüssigkeitströpfchen in heißen Atmosphären gigantischer Protoplaneten
(2) Meteorablation: Abspaltung von Tröpfchen von festen Körpern, die in die Planetenatmosphären eindringen
(3) Impaktaufschmelzung von Planetesimalen im Größenbereich von wenigen Metern
(4) Impaktaufschmelzung von Planeten oder großen Asteroiden
(5) Magmatismus/Vulkanismus auf Planeten oder großen Asteroiden
(6) Kollisionsspritzer geschmolzener Planetesimale
(7) Wiederholtes Zerreißen und Wiederzusammenfügen durch Kollisionskräfte oder Gravitationskräfte von teilweise geschmolzenen, differenzierten Asteroiden oder planetaren Körpern.

Nebulare Theorien:

(1) Kondensation von Flüssigkeitströpfchen aus Gas in einem heißen Nebel im inneren Bereich des Sonnensystems, oder aber:
(2) Erhitzung fester, bereits vorhandener Materie in einem heißen Nebel im inneren Bereich des Sonnensystems
(3) Erhitzung fester, bereits vorhandener Materie in einem heißen Nebel im inneren Bereich des Sonnensystems während Ausbrüchen von FU Orionis Sternen
(4) Ablation fester Materie oder thermische Aufbereitung körnigen Materials bei bipolaren Abfließvorgängen von Materie
(5) Erhitzung von Chondrenursprungsmaterie in lokalen Blitzentladungen
(6) Erhitzung von Chondrenursprungsmaterie nach magnetischen Flares und "reconnection events" (hab' kein deutsches Wort dafür)  :traurig:
(7) X-Wind Modell, eine T Tauri Variante von (6). Chondren bilden sich, indem feste Chondrenursprungsmaterie am inneren Rand der planetaren Scheibe aufgeschmolzen wird; durch den X-Wind werden sie dann nach außen getragen und fallen im Bereich des Asteroidengürtels auf die planetare Scheibe zurück
(8) Reibungserhitzung interstellarer Chondrenursprungsmaterie beim Durchgang durch erhitztes Gas – erhitzt durch den Akkretionsschock, verursacht durch Gas aus der Muttermolekülwolke, die auf die protoplanetare Scheibe fällt
(9) Chondrenursprungsmaterie, die in der protoplanetaren Scheibe entstand, war bei Schockvorgängen (ausgelöst durch wiederholt auf die planetare Scheibe einstürzende Materie) beträchtlichem Gaswiderstand oder Strahlungshitze ausgesetzt.

So, ich glaube, jetzt tauche ich besser mal wieder ab!  :weissefahne:

Gruß,

Bernd x-02


Hallo Bernd,

wunderbar zusammengefasst.

In dem Zusammenhang bin ich gerade über einen Artikel in Spiegel Online vom 26. Jan. 2005 gestolpert. Dort wird über die gemeinsamen Forschungen zur Genese unseres Sonnensystems von Yangting Lin von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Laurie Leshin von der Arizona State University berichtet. Diese stützen sich v.a. auf Analysen des Meteoriten Ningqiang (C3-ung). Die Auswertung des Isotopenbefundes lässt die beiden Doctores von einer höchst ungemütlichen Entstehung des solaren Systems ausgehen - ich zitiere:

"Ihr Beweis wirkt recht harmlos: ein Meteorit, vom Himmel gefallen über der chinesischen Stadt Ningqiang. Für die Astronomen ist klar, dass der Stein ein Relikt aus der Kinderzeit unseres Sonnensystems ist. In dem Meteoriten, der zur Klasse der kohligen Chondriten gehört, fanden die Forscher sogar Einschlüsse von noch älterem Material.

Und diese Einschlüsse könnten den Beweis für die neue Entstehungstheorie unseres Sonnensystems liefern, da sie Sodalit enthalten. Das Mineral enthält reichlich Chloratome und darüber hinaus auffällig viele Schwefel-36-Atome. Das Isotop kann in dem Meteoriten nur durch den radioaktiven Zerfall des Chlorisotops Chlor 36 entstanden sein, schreiben die Wissenschaftler in der Online-Ausgabe des Fachblatts "Proceedings of the National Academy of Sciences".

(...)

Die Frage ist nun, wie Chlor 36 in den Meteoriten kam. "Heute gibt es in unserem Sonnensystem kein natürliches Chlor 36 mehr", sagt Laurie Leshin, Direktorin des Zentrums für Meteoritenstudien an der Arizona State University. Das Isotop hat eine Halbwertzeit von 300.000 Jahren, so dass alles Chlor 36 aus der Frühzeit des Sonnensystems längst zerfallen ist. "Aber wir haben nun einen direkten Beweis, dass es einmal hier war", so Leshin.

Zwei Ereignisse könnten das Chlor 36 in die Ursuppe unserer planetaren Nachbarschaft gestreut haben: Eine nahe gelegene Supernova oder Strahlung aus einer Nebelwolke. "Wir haben wirklich starke Argumente dafür, dass das Chlor-Isotop von einer Supernova produziert wurde, die in der Nähe unseres sich gerade formierenden Sonnensystems explodierte", sagt Leshin. Schon im vergangenen Frühjahr hatte die Forscherin nachgewiesen, dass in der Zeit der Sonnenentstehung das Isotop Eisen-60 vorhanden war - was sich ebenfalls nur durch eine Supernova erklären lasse."


(Nebenbei bemerkt: in diesem Sinne hätte Heraklit recht mit seiner Aussage, der Krieg sei der Vater aller Dinge ...)

Nun aber, langer Rede kurzer Sinn, meine Frage: könnte es sein, dass die Aufschmelzung der feinen Partikel und die darauf erfolgende Erstarrung zu "glasigen" Chondren Folge einer von einer Supernova abgestrahlten Schockwelle sein? Ich habe bei den oben genannten Thesen keinen Hinweis auf Supernovae entdecken können.

Beste Grüße,

Matthias




wannkommtdernächste

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Re: Chondritenbildung in Steinmeteoriten
« Antwort #29 am: Dezember 06, 2008, 21:13:35 Nachmittag »

P.S.

Ich präzisiere den von mir in meiner abschließenden Frage (s.o.) benutzten Begriff "Schockwelle"  zu: Gammablitz (resultierend aus Supernova). Das würde im übrigen gut zu der Vemutung passen, dass das Schmelzereignis sehr rasch stattfand. Die Gammablitz-These vertreten die beiden Astrophysiker Brian McBreen und Lorraine Hanlon vom University College in Dublin.



 

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