Autor Thema: Terrestrisches Alter  (Gelesen 4028 mal)

H5P6

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Terrestrisches Alter
« am: September 30, 2008, 17:03:27 Nachmittag »
Hallo, :winke:

seit einiger Zeit denke ich darüber nach,wie genau ist die Bestimmung des terrestrischen Alter von Meteoriten?
Läßt sich bei einem zwanzig Jahre alten Fall,überhaupt schon ein Unterschied ermessen?
Hat jemand darüber Infos?

Gruß Jürgen :smile:

Offline ironsforever

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #1 am: September 30, 2008, 18:21:53 Nachmittag »
Hallo Jürgen,

dazu hatten wir erst kürzlich ne laange Diskussion, zumindest was die Eisen betrifft, aktuell betraf´s vorallem das neue NWA-Eisen (http://www.jgr-apolda.eu/index.php?PHPSESSID=moob0nrohcviak5v3qifmhlgp4&topic=2820.15). Die Meinungen der Experten gingen weit ausnand über "hundealt" bis frisch. Interessant aber war wohl die Erkenntnis, dass Eisen als verschüttete Mets bei trockener Witterung unter den Dünen wohl auch noch nach 100erten von Jahren wie frische Fälle aussehen können, nachdem sie wieder freigeblasen und gefunden wurden. Die Altersbestimmung ist schwierig, weil sie vielen Faktoren, von der Metart selbst, vor allem aber von der Umgebung (Temperatur, Luftfeuchte, Bodenbeschaffenheit etc.) abhängt. Nix gwis woas ma net, zumindest, wenn man die Sache nur optisch beurteilen kann.

Grüße,
AndiK

ironmet

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #2 am: September 30, 2008, 18:50:18 Nachmittag »
Hallo Jürgen,

ich denke,sowas lässt sich relativ genau feststellen.
Ich bin da leider kein Experte und kann hier mit genauen Zerfallszeiten der Radionuklide
auch nicht beitragen.
Aber es gibt doch die langlebigen und die kurzlebigen Radionuklide.
Andhand dessen,was dann eben die einzelnen Messungen ergeben,kann man den Fall euf eine
gewisse Zeit eingrenzen.
Vielleicht könnte ja der Dieter hier mal einspringen oder auch gern ein anderes Mitglied,der mal
direkt mit Zerfallsraten erklären kann,wie man sowas einstuft.

Viele Grüße Mirko

Offline bolidechaser

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #3 am: September 30, 2008, 23:18:40 Nachmittag »
Hallo Mirko und Jürgen,

Mirko hat das prinzipiell schon sehr schön beschrieben, dass man das terrestrische Alter eines
Meteoriten dadurch bestimmen kann, indem man die Gehalte an verschiendenen Radioisotopen
mißt und dann die sehr kurzlebigen Radioisotope (z.B. Be7, Na22) zu den längerlebigen ins
Verhältnis setzt.

Die Ermittlung des terrestrischen Alters funktioniert recht exakt, wenn der Fall noch sehr frisch
ist, weil dann eben noch viele der sehr kurzlebigen Radioisotope vorhanden sind.

1. Beispiel: Den Neuschwanstein I (gefallen 6.4.2002) hat Thomas ja bereits ca. 3 Monate nach
dem Fall gefunden (im Juli 2002). Im August wurde er dann im MPI für Kernphysik auf Radionuklide
untersucht. Das Ergebnis der Messungen war, daß das terrestrische Alter etwa 4 Monate +/- 1
Monat betrug. Man konnte also klar belegen, dass es sich um einen Meteoriten handelte, der im
Frühjahr 2002 gefallen ist. Und nicht etwa im Herbst oder Winter 2001.

2. Beispiel: Unser italienischer Sammlerkollege Matteo Chinellato hat ja mal behauptet, er hätte
fallfrische Meteorite gefunden, die in seinem Heimatort am 12. 2. 2000 gefallen sein (er hat an-
geblich sogar den Fall beobachtet!!!). Durch Radionuklidmessungen im Mai 2000 konnte aber
eindeutig geklärt werden, daß die von MC vorgelegten Steinmeteorite zwar topfrisch aussahen,
aber von einem älteren Fall stammten, der sich viele Jahre vorher ereignet haben mußte.

Wenn der Fall aber etwa 20 Jahre zurückliegt, dann wird der Meßfehler der Radionuklidunter-
suchungen halt schon recht groß. Aber auf 20 Jahre +/- 10 Jahre genau sollte man das Material
schon noch datieren können - würde ich zumindest schätzen.

Ich habe derzeit Radionuklidmessungen des Colonia Berduc Falles laufen, der ja genau 4 Jahre
nach Neuschwanstein gefallen ist. Bin schon gespannt auf die Ergebnisse.

Beste Grüße

Dieter



Offline ganimet

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #4 am: September 30, 2008, 23:35:55 Nachmittag »


Ich habe derzeit Radionuklidmessungen des Colonia Berduc Falles laufen, der ja genau 4 Jahre
nach Neuschwanstein gefallen ist. Bin schon gespannt auf die Ergebnisse.

Beste Grüße

Dieter




Hallo Dieter,  :winke:

...und genau diese würden mich auch seeeehr interessieren. Ich hatte ja schon vor ein paar Tagen nach Infos zu dem Berduc gefragt   http://www.jgr-apolda.eu/index.php?topic=2758.0    :wow:
Ich (und andere bestimmt auch) würde mich freuen wenn Du die Ergebnisse hier im Forum mitteilen würdest.  :super:

Gruß und bis bald;

Andreas
Daß alles vergeht;weiß man schon in der JUGEND;
aber wie schnell alles vergeht,erfährt man erst im ALTER.

H5P6

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #5 am: Oktober 01, 2008, 10:38:56 Vormittag »
Hallo,Andik,Mirko,Dieter,Andreas, :winke:

über die Genauigkeit der terrestischen Altersbestimmung bin ich doch etwas erstaunt.Das ist doch zumindest bei frischen Fällen eine geringe Toleranz.Die Genauigkeit der Daten bietet natürlich die Möglichkeit,Fallbeobachtungen mit Funden zu vergleichen.Vielleicht ließen sich nach Feststellung der Altersdaten daraus Zeiträume ableiten,an denen Meteoritenfälle verstärkt auftraten bzw.auch sich Fallpausen erkennen lassen.Wahrscheinlich ist aber diese Untersuchungsmethode zu kostenaufwendig.

Gruß Jürgen :smile:

Thin Section

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #6 am: Oktober 01, 2008, 22:24:53 Nachmittag »
Mein erster Beitrag als Neuling im Forum :user:

Mirko schrieb hierzu:

"Ich bin da leider kein Experte und kann hier mit genauen Zerfallszeiten der Radionuklide auch nicht beitragen. Aber es gibt doch die langlebigen und die kurzlebigen Radionuklide. Andhand dessen,was dann eben die einzelnen Messungen ergeben,kann man den Fall euf eine gewisse Zeit eingrenzen."

Ich möchte hierzu mal zwei konkrete Beispiele bringen:

1. Bestimmung des terrestrischen Alters nur anhand des 14C Radionuklids
2. Bestimmung des terrestrischen Alters mittels der 14C und 10Be Nuklide


1. Bestimmung des terrestrischen Alters nur anhand des 14C Radionuklids:

Laut A.J.T. Jull erhält man das terrestrische Alter, wenn man die Zerfallsaktivität in einer Probe in Relation setzt zum Ausgangswert. Hierzu braucht man - und das zeigt, wie wichtig es ist, einen frisch gefallenen Meteoriten so schnell wie möglich der Analyse zuzuführen - die Werte, die bei einem frischen und sofort untersuchten Fall gewonnen wurden!

Jull benutzte hierzu Bruderheim und einige andere Chondrite und errechnete folgende Bezugswerte:

a) für H Chondrite 46.5 dpm/kg (dpm = Desintegrationen pro Minute pro Kilogramm)
b) für L Chondrite 51 dpm/kg
c) für LL Chondrite 55 dpm/kg

Er benutzt nun diese Formel:

ln = natürlicher Logarithmus, nicht "log" sondern "ln"
x  = durchschnittliche Lebensdauer eines Radionuklids (Achtung: dies ist nicht die Halbwertszeit!)
für 14C ist "x" 8268 Jahre (wird berechnet aus: x = 1/y ; y ist die Zerfallskonstante)

Terrestrisches Alter = x*ln (Augenblickliche Aktivität/ Anfangswert)

Beispiel:

Dimmitt (H4) hat laut Jull folgenden 14C dpm-Wert: 21.0 ± 0.2, also laut Formel:

At = 8268 * ln (31.0/ 46.5) [±0.2 lasse ich zur Vereinfachung unberücksichtigt!]

At = 8268 * (-0.4054651081) = - 3352.385514 Jahre

Offizieller Wert bei Jull: 3.4 ± 1.3 ka, also 3400 ± 1300 Jahre

2. Bestimmung des terrestrischen Alters mittels der 14C und 10Be Nuklide

David Kring benutzte wegen des wesentlich höheren terrestrischen Alters und des viel größeren Radius des Gold Basin Meteoroiden die beiden Radionuklide 14C und 10Be und setzte sie ins Verhältnis zu einander. Hierzu benötigte er folgende Parameter:

- die Halbwertszeit von 14C = 5730 Jahre
- die Halbwertszeit von 10Be = 1.500.000 Jahre oder 1.5 * 106
- das Verhältnis von 14C zu 10Be am "Anfang"
   der Wert ist ca. 2.5 und ergibt sich wieder aus den Messungen bei frischen Fällen
   und taucht in der Formel unten auf als => N14i/N10i
- das Verhältnis von 14C zu 10Be (augenblicklicher Messwert) => N14/N10
- die Zerfallskonstanten z10 und z14

Durch die Verwendung von *zwei* Radionukliden wird das Endergebnis "unempfindlicher" im Hinblick darauf, daß man ja nicht genau weiss, wie (un-)vollständig das Streufeld abgesucht ist und ob ein sg. "shielding factor" in die Rechnung miteinbezogen werden muß. 14C Werte werden sehr davon beeinflußt, wie tief sie im Meteoroiden geschützt (= shielded) waren. Nun zu Formel ... Laut David Kring:

N14/N10 = N14i/N10i * exp[(z10 - z14) * t]

Berechnung derZerfallskonstanten z = 0.693/Halbwertszeit
Der Wert 0.693 rührt daher, daß ln(1/2) = -0.693 ist

Also:

Zerfallskonstante für 10Be: z10 = 0.693/1500000 = 0.000000462
Zerfallskonstante für 14C: z14 = 0.693/5730 = 0.00012094

Beispiel: Gold Basin (L4)

Formel laut Kring: Tterr = 1/(z10 - z14)*ln[(N14/N10)/ (N14i/N10i)]

1/(z10 - z14) kommt dadurch zustande, daß beide Seiten der Gleichung geteilt wurden durch:

N14i/N10i

Die Sache mit "exp" und dann aber "ln" hat mit den Regeln des Logarithmierens und Potenzierens zu tun und soll uns hier nicht interessieren. Mit wissenschaftlichen Taschenrechnern eh kein Problem!

So, jetzt aber: 0.4 ist ein errechneter Mittelwert für mehrere Gold Basin Samples
                     2.5 der errechnete Wert für frische Fälle (s.o.)

Tterr = 1/ (0.000000462 - 0.00012094) * ln (0.4/2.5)
Tterr = (1/ -0.000120478) * ln (0.4/2.5)
Tterr = (-8300.270589) * (-1.832581464)   Minus * Minus = +  (!)

Tterr = 15210.92203 (> 15.000 Jahre) für Gold Basin :laughing:

Kring schreibt: Using equation (2), the mean 14C/10Be ratio of 0.40 ± 0.03
                    we obtain a terrestrial age of 15000 ± 600 years.

Quellen:

KRING D.A. et al. (2001) Gold Basin Meteorite Strewn Field, Mojave Desert, Northwestern
Arizona: Relict of a Small Late Pleistocene Impact Event (MAPS 36-8, 2001, pp. 1057-1066).

JULL A.J.T. et al. (1993) Carbon-14 terrestrial ages and weathering of 27 meteorites from
the southern high plains and adjacent areas  - USA (Meteoritics 28-2-1993, 188-195).


Bernd :weissefahne:


ironmet

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #7 am: Oktober 01, 2008, 22:31:33 Nachmittag »
Ohgottohgottohgott...... :dizzy:

das muß ich ja fünf mal lesen um es zu verstehen...... :platt:

Danke Bernd. :super:

Viele Grüße Mirko :prostbier:

Offline gsac

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #8 am: Oktober 02, 2008, 00:05:27 Vormittag »
Mein erster Beitrag als Neuling im Forum :user:

At its best :super: - Zugabe!
Alex

Offline Aurum

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #9 am: Oktober 04, 2008, 09:20:10 Vormittag »
Mensch Bern ,

das war ein Regelrechter Paukenschlag für einen Erstbeitrag :super:
Toll geschrieben .

Bis dann Lutz  :winke:
Aller Anfang ist schwer !!

H5P6

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #10 am: Oktober 04, 2008, 11:38:33 Vormittag »
Hallo Bernd, :winke:

das war ja ein toller Einstieg.Es ist sicher sehr gut,wenn man diese Detailkenntnis hat.Nur wird kaum jemand die entsprechende Technik besitzen,um ein solches Wissen auch nutzen zu können.
Wenn man eine Gesteinsprobe zur terrestrischen Altersbestimmung einreichen möchte,wäre es also doch besser,vorher die entstehenden Kosten zu kennen.Müßten diejenigen doch wissen,die sowas schon in Auftrag gegeben haben.

Gruß Jürgen  :smile:

Offline karmaka

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Re: Terrestrisches Alter
« Antwort #11 am: November 04, 2021, 23:37:20 Nachmittag »
Ein neuer und interessanter Artikel zum Thema!  :super:

Meteorite terrestrial ages in Oman based on gamma spectrometry and sediment dating, focusing on the Ramlat Fasad dense collection area

Åke V. Rosén, Beda A. Hofmann, Frank Preusser, Edwin Gnos, Urs Eggenberger, Marc Schumann, Sönke Szidat

Meteoritics & Planetary Science
04 November 2021

 

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