Autor Thema: Orgueil  (Gelesen 2384 mal)

Offline Thin Section

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Orgueil
« am: Juni 11, 2015, 21:30:57 Nachmittag »
Am Abend des 14. Mai 1864 (kurz nach 20 Uhr) beobachtet man überall im Südwesten Frankreichs eine Feuerkugel, die in mehrere Stücke zerplatzt. Schon kurz danach werden in und um Orgueil herum Meteoritenfragmente gefunden. Bereits die ersten Analysen, welche Daubrée durchführt, zeigen, dass Orgueil sehr reich an organischem Material ist. Also hat man darin verschiedentlich Spuren organischen Lebens zu finden geglaubt – ähnlich wie bei ALHA 84001. Camille Flammarion ging sogar so weit, die Existenz organisierten Lebens auf den Mutterkörpern zu erwägen. Die Zusammensetzung des Orgueil entspricht ziemlich genau der Zusammensetzung unserer Sonne (genauer der solaren Photosphäre) und einige Wissenschaftler sind der Ansicht, es handle sei bei Orgueil um kometare Materie.

Durch Auswertung historischer Unterlagen von Daubrée gelingt es Matthieu Gounelle, Pavel Spurny und Phil Bland, die Bahnelemente des Orgueil Boliden zu rekonstruieren*:

H1 = 70 km / Lo = 00.26° W / La = 44.29° N
H2 = 19 km / Lo = 01.34° E /  La = 43.89° N
Distanz: fast 150 km (vor Beginn des Dunkelfluges)
Argument des Periheliums: 326–332°
Länge aufsteigender Knoten: 234.5°
Bahnneigung: 1.3–2.7°
Halbe große Achse:  2.4 – 13 AE (je nach angenommener Geschwindigkeit)
Exzentrizität: 0.59-0.93 (ebenfalls in Anbhängigkeit von angenommener Geschwindigkeit)
Diese Bahndaten reichen von typischen Apollo-Objekten (niedrige Eintrittsgeschwindigkeit) bis hin zu Kometen der Jupiterfamilie (hohe Eintrittsgeschwindigkeit).

* GOUNELLE M. et al. (2004) The orbit of the Orgueil meteorite from historical records (MAPS 39-8, 2004, A045).

Bernd  :winke:

P.S.: Orgueil ist sehr (!) bröselig (engl.: friable). Bereits beim "Umbetten" heute in ein kleineres, rundes Döschen lösten sich gleich wieder einige Krümelchen!
(247553) Berndpauli = 2002 RV234

Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind. (Bertrand Russell, britischer Philosoph und Mathematiker).

Allende

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Re: Orgueil
« Antwort #1 am: Juli 31, 2015, 22:47:43 Nachmittag »
Ergänzend hier noch der Steckbrief zum Orgueil-Material:

Name: Orgueil
F.O.: Tarn-et-Garonne, Montauban, Frankreich
Klasse: Stein, CI1 Chondrit, Regolith Brekzie, Fetot 18.85%
Fall: 14. Mai 1864
Gesamtgewicht: Schauer, 20 Einzelsteine. Ca. 14 kg in Sammlungen erhalten

Hier mein Sammlungsstück: Bruchstück mit etwas Kruste (Bild 1), 3.15g, vor 20 Jahren aus deutscher Universität im Tausch erhalten.
Das Bruchstück zeigt weisse Sulfat-Bedeckungen (Bild 1 und 2), die als irdische Veränderung in Folge von Kontakt mit Luftfeuchtigkeit entstanden sind.

Bernd hat an anderer Stelle im Thread: weiße Minerale bei CI Chondriten (Juni 2012) schon auf den Ursprung der Sulfate Referenzen genannt, die ich jetzt einfach wiederhole:

NAGY B. et al. (1964) Electron probe microanalysis of some carbonate, sulfate and phosphate minerals in the Orgueil meteorite (Am.Mineral. 49, 1730-1736).

 CALVIN W.M. et al. (1997) Spectral characteristics of iron-bearing phyllosilicates: Comparison to Orgueil (CI1), Murchison and Murray (CM2) (Meteoritics 32-5, 1997, 693) - Auszug: "In these C chondrites, significant alteration of anhydrous minerals has occurred, which results in compositions dominated by aqueous alteration products such as phyllosilicates, sulfates, oxides, hydroxides and carbonates (e.g., Zolensky and McSween, 1988; Buseck and Hua, 1993)."

GOUNELLE M. et al. (2001) A terrestrial origin for sulfate veins in CI1 chondrites (MAPS 36-10, 2001, 1321-1329) - Auszug:

 "White sulfate veins are a very well-known petrological feature of the chemically primitive CI1 carbonaceous chondrites. Sulfate veins were first described in the Orgueil meteorite in 1961, almost one century after its fall ... We suggest that all CI1 sulfate veins formed during terrrestrial residence of these heavily brecciated, porous stones."

Gruss, Allende
 :hut:


Allende

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Re: Orgueil
« Antwort #2 am: Juli 31, 2015, 22:49:19 Nachmittag »
Hier das zweite Bild des Orgueil-Bruchstückes (22 x 17 x 12 mm)

Offline Chondrit 83

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Re: Orgueil
« Antwort #3 am: August 01, 2015, 10:55:17 Vormittag »
Super Stück Allende  :wow: :wow: :wow:
Mit einem Gibeon hat’s begonnen....

Offline herbraab

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Re: Orgueil
« Antwort #4 am: August 09, 2015, 12:26:38 Nachmittag »
P.S.: Orgueil ist sehr (!) bröselig (engl.: friable).

Deshalb besitzen auch bedeutende Museen oft nur vergleichsweise kleine Stücke. Anbei beispielsweise ein Bild der 22g schweren Orgueil-Probe im NHM Wien - es ist das größte Orgueil-Stück in diesem Museum.

Hier gibt es einen Berich zum 150. Jahrestags des Falls mit eine Bild eines größeren Stückes. Wie man sieht, wird es unter einer Glasglocke aufbewahrt und zerfällt dennoch in Einzelstücke. Mit irdischen Umweltbedingungen scheint sich der Meteorit von Orgueil also nicht wirklich anfreunden zu können...

:hut:
Herbert
"Daß das Eisen vom Himmel gefallen sein soll, möge der der Naturgeschichte Unkundige glauben, [...] aber in unseren Zeiten wäre es unverzeihlich, solche Märchen auch nur wahrscheinlich zu finden." (Abbé Andreas Xaverius Stütz, 1794)

 

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